Die Hebamme
anzunehmen. Und wenn Sie es von mir nicht annehmen wollen, dann doch vielleicht von meinem Vater.«
Auf der Treppe hastete Gesa an einer Frau vorüber, in der sie flüchtig die Apothekerin erkannte. Kilian indessen hatte nur noch wenige Augenblicke Zeit, sich zu fragen, was, in Gottes Namen, der Kollege Heuser dieser Dörflerin geschrieben haben mochte, dass sie sich derart gebärdete. Jedoch, sie war jung und formbar – somit erfüllte sie, was er sich als Voraussetzung eines neu zu gestaltenden Hebammenwesens vorstellte.
Caroline Fessler bestätigte ihn darin, während sie miteinander dinierten, und er neigte immer mehr dazu, ihrer Menschenkenntnis zu vertrauen. Sie hatte dafür gesorgt, dass die Rettung des Büttner’schen Kindes in Marburg so bekannt gemacht wurde, wie es den tragischen Tatsachen entsprach.
Sie war eine der Ersten gewesen, die den Witwer aufgesucht und seinen Sohn voller Ehrfurcht in Augenschein genommen hatten. Sie war derart beeindruckt, dass sie dem Professor ein Billett schickte, das ihrer Bewunderung Ausdruck verlieh.
»Man muss auf sie achten«, hatte sie später einmal gesagt, »auf Büttner, sein erbarmungswürdiges Söhnchen, aber auch auf die Amme. Vor allem, wie sie mit dem Säugling umgeht. Alles dies wissen Sie am besten, verehrter Professor. Doch dass dieses Kind am Leben bleibt, wird für Ihren Ruf in der Stadt von größter Bedeutung sein.«
In allem war Caroline eine faszinierende Frau, fand Kilian, und er gestattete sich, ihre Gesellschaft zu genießen. Als sie nun vor dem Kamin saßen und das flackernde Feuer ihre Augen glänzen ließ – sie waren grün, wie er inzwischen wusste -, als er ihr gegenüber in seinem Sessel lehnte und sich ihren dahinplätschernden Plaudereien überließ, dachte er, dass sie ein Talent dafür hatte, einen Mann sich behaglich fühlen zu lassen.
»Mein lieber Professor«, seufzte sie – und das tat sie wirklich entzückend, »es ist so erbaulich, mit Ihnen beisammen zu sein. Als Witwe im Haushalt des Sohnes zu leben ist mitunter eine einsame Angelegenheit, denn aus Rücksicht auf die jungen Eheleute achte ich natürlich darauf, mich im Hintergrund zu halten. Deshalb bin ich so gern Ihrer Einladung gefolgt. Ich weiß, die beiden werden es schätzen, einmal für sich zu sein, ohne den mütterlichen Schatten in ihrer nächsten Umgebung zu wissen. Zumal Lambert als Apotheker ja kaum das Haus verlassen kann. Ich habe diese Zwänge selbst in meiner Ehe erfahren. Zuweilen habe ich mich gefühlt wie eine Gefangene, wenn ich Abend für Abend nur dasaß, Arzneischachteln füttern und Räucherkerzen oder Kapseln anfertigen musste. Als junge Frau glaubt man noch, dass die Ehe ein freieres Leben mit sich bringt, und wie oft kommt dann doch alles ganz anders.« Sie seufzte wieder, ihr Lächeln zeigte fast etwas Schmerz.
»Aber Lambert ist ein so sanfter Mensch und viel zu empfindsam, um eine Frau unglücklich zu machen.«
Was Caroline für sich behielt, war, dass sie Therese am heutigen Abend die Anwendung eines Rezepts empfohlen hatte, das sie von ihrer Mutter kannte. Thereses Mutter dagegen sowie die verheirateten Schwestern hatten die junge Frau im Brautstand offenbar schlecht vorbereitet, und sie war heimlich überzeugt, dass diesem Versäumnis ein Mangel an Raffinesse zugrunde lag. Wie sonst war es zu erklären, dass im ehelichen Bett noch nicht geschehen war, was zu geschehen hatte?
Ihr Sohn, darüber war Caroline sich vollkommen im Klaren, gehörte nicht zu der groben Sorte, die rücksichtslos Besitz von einer Frau ergriff. Unverkennbar war es ihm nicht einmal möglich, mit zärtlichem Tun Therese die sinnlose Furcht vor dem Körperlichen zu nehmen. Das arme Kind kam in Gefahr, ein Opfer ihrer Tugenden zu werden, das musste ihr nahe gelegt werden. Mit Sanftmut hatte Caroline die Tränen der Schwiegertochter getrocknet und dann mit ihr geredet – in aller Deutlichkeit. Ihre Ausführungen hatten Therese von einer Schamesröte in die nächste getrieben, doch zwei Gläschen Kirschwein setzten dem nervösen Farbenspiel auf Hals und Wangen ein schnelles Ende.
»Therese, mein Kind«, hatte Caroline gesagt, »da bist du nun voller Liebe für ihn, das ist gut und schön – aber du stehst dir selbst im Wege, merkst du das nicht? Es ist niemals von Vorteil, wenn eine Frau den Kopf verliert. Du bist scheu – Lambert ist zart gestimmt, und euch beiden legt es Fesseln an. Nie darf dich die Angst leiten, ihm nicht zu genügen, denn dann wirst du ihm
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