Die Hebamme
mit heißem Wasser. Vom Sud in dem kleinen Steinkrug, der sich ebenfalls dort befand, war noch da, was die Ofenhitze eines langen Tages übrig gelassen hatte.
Schött und Gesa waren etwa gleichzeitig aufgebrochen, wenn auch in unterschiedliche Richtungen. Beide durchliefen bei Tagesanbruch den Nebel und ließen das Dorf dahinter zurück.
Schött nämlich verdiente das Wohnrecht für seine Hütte am Forstacker und freie Weide für eine Kuh keineswegs nur als Nachtwächter. Er war nicht allein deshalb gut angesehen bei den Leuten, weil er der geschickteste aller Maulwurffänger war, auf seinen Rundgängen verlaufene Gänse heimbrachte oder ein vergessenes Tuch von der Bleiche. Schött brachte auch Briefe, denn neben alldem versah der Alte das Amt des Postgängers.
An jedem zehnten Tag – kein Wetter hielt ihn davon ab, dass es der zehnte sein musste – trat er im Morgengrauen den Weg zum Gasthof jenseits des Waldes an, wo die Postkutschen Station machten und Briefe für die umliegenden Dörfer abgegeben wurden. Es kam nicht oft Post an, aber manchmal eben doch. Und Schött mochte es, wenn er an den zehnten Nachmittagen ins Dorf zurückkam und man ihn fragte: »Gibt’s Neuigkeiten?«
Die gab es nun, aber wohin damit, jetzt, da Gesa fortgegangen war? Er entschied sich, trotz allem zum Haus der Hebamme zu gehen. Er würde den Brief aus Marburg in Gesas Truhe legen, die der Fuhrknecht vom Eichenhof auf den Wagen lud. Jula hatte darauf bestanden, das Möbel abholen zu lassen.
Sie war nicht die Einzige, der es missfiel, dass der Dorfschulze dem neuen Lehrer und seiner Frau so einfach das kleine Haus an der Fallwiese überließ. Jula wollte, dass wenigstens die Habseligkeiten der jungen Hebamme vor der anderen in Sicherheit gebracht wurden. Bis sie zurückkam, und darauf würde zu warten sein. So manche der Frauen im Dorf wäre wohl rebellisch geworden, das wusste Schött, wenn es Gesa Langwasser nicht selbst so entschieden hätte. Dem Dorfschulzen wäre es sauer bekommen, gegen den Willen der Weiber eine Hebamme einzusetzen, wo sie doch eine andere gewählt hatten.
Der alte Schött stand gut mit den Frauen, weil er sich merkte, wann sie große Wäsche hatten, und sie dann zuverlässig vor allen anderen mit einem Stockschlag gegen die Fenster weckte. Ihm kam zu Ohren, was sie einander erzählten, und er war möglicherweise der einzige Mann, der so genau wusste, warum die junge Hebamme wieder fortgegangen war – außer dem Dorfschulzen natürlich, den sie aufgesucht hatte, um ihm ein Geständnis zu machen. Es erzürnte die Frauen, dass den Schulzen kaum zu interessieren schien, wer die Kinder hier im Tal auf die Welt holte. Auf den landesherrlichen Verordnungen war er herumgeritten, erzählten sie sich, doch allein um das Geld ging es ihm, glaubten sie, das man umsonst für Gesa ausgegeben hatte. So machte es die Runde, nachdem der Dorfoberste in seiner Stube die Stimme laut genug erhoben hatte. Und auch, dass er das Haus wie ein Pfand einsetzte.
Die Frau, die sie hinaufgeführt hatte, schloss die Tür hinter ihr. Gesa schluckte. Ihr Mund war trocken und die Hände waren feucht, ihren Kleidern sah man den zweitägigen Fußmarsch an, und ihrem Haar, so war zu befürchten, denn sie hatte im Stroh in einer verfallenen Scheune übernachtet.
Vor der Lehne eines ledernen Sessels konnte sie eine Stiefelspitze auf und ab schwingen sehen.
»Kommen Sie ans Feuer«, sagte Kilian.
Er drehte ein Glas in der Hand und betrachtete einige Schlieren, die der Wein mit der kreisenden Bewegung hinterließ. Dann sah er Gesa an.
»Entschuldigen Sie, Herr Professor, dass ich Sie in Ihrem Haus … dass ich Sie hier störe …«
Vom weißen Tuch des gedeckten Tisches blitzten Porzellan und Silber herüber, und unten im Haus hatte sie der Küchenduft an ihren Hunger erinnert.
»Ich entschuldige«, sagte er, »aber es erstaunt mich. Haben Sie Doktor Heuser nicht im Institut angetroffen?«
»Doktor Heuser? Nein, ich … Pauli sagte mir, wo ich Sie finden kann; ich bat ihn darum, denn ich wollte nicht … Ich konnte nicht einfach ohne Ihr Wissen …«
»Stottern Sie nicht, Langwasser, unser Gespräch sollte sich nicht allzu mühsam und zeitraubend gestalten.«
Sie hielt sich an der Ecke des Kamins, in einer Distanz, die es dem Professor ermöglichte, den Blick auf sie zu richten, ohne zu ihr hochschauen zu müssen. Beim Dorfschulzen hatte sie in der Mitte der Stube gestanden, zwischen schwerem, dunklem Mobiliar, und er hatte sie
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