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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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nicht vor dem Rat, und du sitzt nicht zu Gericht, hoffe ich, wenn es um Freundschaft geht.«
    »Der Mann war nicht mein Freund und hätte es schwerlich sein können. Ganz offensichtlich fehlte es ihm an Kraft, sein Leben als Teil der Gesellschaft zu meistern, und ich werde nicht öffentlich seinen vermeintlichen Mut zum Tod anerkennen.«
    »Mir geht es doch nicht um ihn oder dass du gutheißt, was er getan hat, aber Therese – sie ist meine liebste Freundin …« Hombergs harte Gesichtszüge hätten ihr sagen müssen, dass er seine Haltung nicht ändern würde, doch sie war zu sehr daran gewöhnt, ihn herumzukriegen.
    »Und nicht zu vergessen, sie ist auch die Patin unseres Sohnes, dem bald möglicherweise ein weiterer folgen wird. Homberg, sei nicht herzlos«, sie wusste ihrer Stimme einen wirklich schmeichelnden Klang zu geben, »ich bin wieder schwanger – was sagst du? Und ich will darüber nicht zum ersten Mal unglücklich sein.«
    Diese Bemerkung allerdings war das fatale Ende ihrer Unterredung gewesen, aus der Homberg sich mit kaltem Schweigen zurückgezogen hatte. Gekränkt in Wahrheit. Diese Erkenntnis ließ Malvine am Grab Lambert Fesslers erneut weinen – hemmungslos, wie es ihre Art war.
     
    Caroline hob den Kopf, als sie das Schluchzen vernahm. Die Totengräber ließen den Sarg in die schwarze Öffnung hinab, während Pfarrer Siebert ihren Sohn segnete. Er betete für die schlaflose Seele und predigte Milde. Kein Christenmensch sollte einen anderen verurteilen, dessen Hinscheiden in Schwermut und daher doch nicht gänzlich freiwillig zustande gekommen war. Sie hörte den Geistlichen von stiller Wut und Verzweiflung sprechen, und nichts davon berührte sie. Die Menschen am Grab ihres Sohnes, über dem eine schneegebeugte Birke hin und wieder ein wenig von ihrer Last abgleiten ließ, waren für Caroline eine gesichtslose, dunkle Menge.
    Die Luft ging durch die Nacht:
    das berührte sie
Trug meine Liebe durch die Stille,
sie hörte kaum etwas anderes
dein schlafendes Herz zu wecken.
    Nichts quälte Caroline mehr als dieser Brief, den sie aus seinen verkrampften Händen gewunden hatte, der dabei zerrissen war und den sie trotz des Zwielichts hatte lesen können, Wort für Wort, auch den Namen, an den diese gerichtet waren.
     
    Elgin stand über ihnen auf dem Hang. Sie hielt sich fern, in einer Mauernische der Kapelle, und die Kälte war längst durch den langen Mantel und das wollene Kleid bis in ihr Innerstes gedrungen. Wie seltsam, dass sie unwillkürlich ihre Hand auf den Bauch legte. Es kam ihr zu Bewusstsein, im selben Moment, als sie es tat. Als schaute sie einer anderen zu. Womit sie sich so viele Jahre in einer selbstverständlichen Weise befasst hatte, war selbstverständlich nicht sie. Elgin war anders. Wie bedeutsam es ihr gewesen sein musste, dass sie so vieles darüber hinaus nicht in Betracht gezogen hatte. Das Leben. Den Tod. Wie sehr es doch ihre Gewohnheit war, sich zu befassen.
    Die Leute da unten. Den Sarg, der nicht irgendeinen Menschen in sich verschlossen hielt, sondern Lambert. Sie musste sich zwingen, seinen Namen über die steifen Lippen zu bringen. Er flog mit ihrem kalten Atem davon.
    Zur Stunde, in der er starb, war ihr Mariettas Sohn in die Hände geglitten, sie war glücklich gewesen, nichts anderes als ihre Arbeit zu tun. Nichts hatte sie gewarnt. Auch jetzt warnte sie nichts.
    Elgin nahm ein Geräusch wahr – harte Erdklumpen, die hinabgeworfen wurden und mit einem dumpfen Prasseln auf den Sarg trafen. Sie hatte seine Gestalt vor Augen, Lambert, heraustretend aus wirbelndem Schnee, der sich teilte wie die Vorhänge an ihrem Fenster.
    Es schneite nicht. Der Himmel war blau.
    Jemand rief oder schrie nach ihr.
    Unten gerieten die Leute plötzlich in eine Bewegung, Schulter an Schulter beinahe. »Gottlose Hure!«
    Der Ausruf traf sie mit einer Wucht, die alles aus ihrem Herzen löschte. Einen Augenblick lang. Alles, was es darin gab.
     
    Die Leute sahen zu, wie Elgin Gottschalk sich von den Mauern der kleinen Kapelle löste. Allein, wie sie davonlief, mit gejagten Schritten, die sie am Hang ausgleiten und in den Schnee fallen ließen, es sprach sie schuldig an allem, was Caroline Fessler ihr nachschrie. Für viele von ihnen war das Unfassbare erklärlich geworden, so entsetzlich leicht zu verstehen.
    Collmanns Betroffenheit galt Therese, die am ganzen Leib zitterte. Malvine Homberg zog sie in die Arme und geriet in hilflosen Zorn bei dem Gedanken daran, wie vollkommen sie

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