Die Hebamme
zu versorgen hatte. Da mochte er noch so sehr in Ehren geboren sein. So hatte es Bele erzählt, und das hatte sie nur getan, wenn Gesa danach fragte. Sie musste mit sehr kargen Äußerungen auskommen.
An einem ungewöhnlich heißen Tag im Mai schließlich gebar Marie ihre Tochter. Und dann hatte sie begonnen, auf etwas zu warten. Das wusste Gesa jetzt. Auch, dass sie irgendwann damit aufgehört haben musste. Es hatte einen anderen Mann gegeben und eine weitere Schwangerschaft. Ihr Verhängnis, hatte Bele gesagt.
Wohl deshalb hatte sie mit ihrer Nichte, der kleinen Waise, das Dorf verlassen und ein Grab, das man nie mehr besuchte. Sie konnte gar nicht weit genug fortkommen, damit dem Kind nie das Gerede zu Ohren kommen sollte. Und damit keiner falsche Schlüsse ziehen konnte, was die Wesensart des Mädchens anging, Maries Tochter. Vor allem jedoch hatte Bele vor ihrer vermeintlichen Schuld fliehen wollen, was ihr gründlich misslungen war.
Als sich hinten die Kirchentüre öffnete und mit einem dumpfen Klappen wieder schloss, hob Gesa den Kopf und sah zu den hohen Fenstern hinauf. Marias Umhang leuchtete golden, doch ihren Sohn hielt sie freudlos wie einen hölzernen Gegenstand. Der Körper des Jesuskindes war weiß wie die Haut der toten Kinder im Schrank des Unterrichtssaales, deren Herkunft ganz sicher auch auf Verhängnissen beruhte.
Jenseits des Mittelgangs näherte sich jemand auf nackten Füßen. Flüchtig nahm Gesa eine Bewegung hinter einem der steinernen Pfeiler wahr, aber sie kümmerte sich nicht darum.
Wer die alte Suse gewesen sein mochte, die in Beles atemloser Rede vorgekommen war, wusste Gesa nicht. Aber an diesem Teil der Geschichte gab es nicht viel zu verstehen. Frauen, die sich mit Kräutern auskannten, waren überall zu finden. Sie hatten Herbstzeitlose gegen die Gicht, Schwarzkümmel gegen Leibschmerzen, Würmer und Flöhe, und sie hatten etwas, um das Verhängnis abzuwenden: den Sadebaum.
Gesa bekam schon früh zu sehen, was er ausrichten konnte. Sie sah das verrotzte Gesicht des Jungen vor sich, der sie in einer lange zurückliegenden Nacht aus dem Schlaf geholt hatte, um Bele zu seiner Mutter zu bringen. Fast meinte sie sein Schluchzen zu hören. Sie erinnerte sich genau an den Geruch, der ihnen aus der Kammer entgegengeschlagen war, als sie die heruntergekommene Hütte der Tagelöhner betreten hatten. Es stank nach allem, was ein Mensch nur von sich geben kann. Es stank nach dem Ruß eines schlecht ziehenden Herdfeuers und faulendem Holz. Und es stank nach nasser Wolle. Sie konnte es in diesem Moment riechen.
Auch die Tagelöhnerin hatte in ihrem Blut gelegen, aber das konnten sie erst sehen, nachdem sie einen Kienspan im Dreck vor dem Herd gefunden hatten. Bele wies Gesa an, ihn an einem Glutrest zu entzünden und ihr am Bett Licht zu verschaffen. Jemand hatte einen wollenen Umhang über die Frau gelegt, es musste eines ihrer fünf Kinder gewesen sein. Kleine, bleiche Wächter, die um die Bettstatt herumstanden. Auf dem dunklen Tuch glänzte das Blut zwischen den Beinen der Tagelöhnerin wie ein schwarzer See. Bele hatte Fragen gestellt und Antworten bekommen. Dann tat sie, was möglich war.
Es war die Erste, von der Gesa erfuhr, und es blieb nicht aus, dass sie als Lehrtochter der Dorfhebamme in den folgenden Jahren immer wieder Frauen begegnete, die versucht hatten, dem Geblüt zum Fortgang zu verhelfen. Sie taten es mit jedem Kraut, das dafür in den Gärten zu finden war, sofern es nur Hilfe versprach. Erst wenn der Blutfluss kein Ende nahm und jemand in Besorgnis geriet, dann rief man die Hebamme – denn wer sonst hätte einen Rat wissen sollen? Bele versorgte die Frauen ohne ein Wort des Vorwurfs. Gesa gab ihnen starken Tee aus Frauenmantel und Beifuß zu trinken und lernte Umschläge aus gestampftem Breitwegerich anzulegen, damit das Blut zum Stillstand kam.
Von allen heimlichen Mitteln gegen das Verhängnis war der Sadebaumsud das gefährlichste. Es konnte die Frauen töten, wenn sie nur eine Messerspitze zu viel von den getrockneten Blättern abkochten und mit Leinöl vermischten. Manche setzten ihr Leben aufs Spiel, weil sie sich nicht auskannten oder um sicherzugehen. Marie musste eine von ihnen gewesen sein.
Gesa stand auf und betete stumm, dass die Schwestern zusammenfinden und einander alles verzeihen konnten. Sie betete, dass Bele und Marie von nun an gemeinsam ein Auge auf sie haben würden, denn sie meinte Hilfe zu brauchen bei dem, was noch vor ihr lag.
Ein
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