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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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Blick, und ebenso ihr Bedürfnis, sich immer wieder von ihm zurückzuziehen. Es war nichts im Vergleich zu dem Gefühl, das sich in ihm ausdehnte, wenn der Schlüssel nicht da war, wenn die Leere des Mauerwerks ihn erst erschreckte und dann die Enttäuschung wie Gift durch seine Adern schoss. Dann wollte er mit den Fäusten gegen die verschlossene grüne Tür schlagen, sie vor Wut eintreten, die Treppen hinaufrennen, eine weitere Tür aufstoßen … und hier endeten seine ohnmächtigen Fantasien. Denn was würde er ihr damit schon zeigen? Nur Schwäche und nicht etwa, was sein Herz bereit war zu ertragen, um das ihre doch noch zu erobern.
    Jedes Mal wieder, wenn Lambert nachts heimlich dieses Haus aufsuchte, beschritt er aufs Neue einen unbekannten Weg zu dem größten Geheimnis seines jungen Lebens. Bislang hatte er es für reizvoll gehalten, eigene kleine Wahrheiten, Dinge und Beschäftigungen vor der Welt geheim zu halten. Seit einiger Zeit allerdings hatte er oft den schmerzhaften Wunsch verspürt, sich preiszugeben. Dann wollte er am liebsten durch die Straßen laufen und jedem, der ihm begegnete, sagen: »Ich liebe Elgin Gottschalk.«
    Als seine Finger jetzt an die glatte Oberfläche des Schlüssels stießen, griff er ruhig danach. Dass er heute dalag, war wie ein Versprechen, wie eine Beschwichtigung. Alles, zu dem er sich verpflichtet hatte, machte einen Sinn, denn nur so würde er sie halten können.
    Und doch schien sie überrascht, fast unsicher, als er sich über sie beugte, sie küsste, die Kleider abstreifte. Langsam gab die Dunkelheit Elgins Gesicht frei, und es wunderte ihn kaum, wie hell eine mondlose Nacht in ihrer Gegenwart sein konnte.
    Sie lag ganz still, als er die Decke anhob und an ihren Zehen entlang über ihre Füße strich. Seine Hände umfassten ihre Waden, umkreisten ihre Knie und folgten der weichen Wärme ihrer Schenkel. Er meinte zu hören, wie sie den Atem anhielt, als er das Hemd weiter hochschob. Er sah das helle Tuch zwischen ihren Beinen, gefaltete Lagen von Leinen, und seine Finger berührten das Band über ihren Hüften, an dem sie befestigt waren. Seine Hände fanden auf ihrem Bauch zusammen, verharrten dort, bis dieser sich langsam wieder hob und senkte.
    Sie ließ ihn allein mit ihren zitternden Atemzügen. Sie wartete ab, ließ ihn etwas herausfinden, er sollte keine Fragen stellen. Die feinen Härchen auf ihrer Haut richteten sich auf, als er die Bänder löste, und sie hob ihr Becken an, damit er die Tücher fortnehmen konnte.
    Er hatte eine vage Erinnerung an gebeugte Rücken, die sich ihm zuwandten, wenn er als kleiner Junge unten im Haus seiner Eltern bei den Waschfässern spielte. Er sah die von der Arbeit geröteten Hände, die solche Tücher mit Asche schrubbten, sie auswrangen und in verborgenen Ecken des Gartens zum Trocknen aufhängten. Er hatte sie trotzdem gefunden und angstvoll die rostigen Schatten betrachtet, denn er wusste, dass es das Blut der Frauen war. Er hatte sie davon reden hören, wenn er sich in der Küche bei ihnen aufhielt und sie ihm Holzlöffel gaben, damit er sich beschäftigte. Sie machten sich keine Gedanken, dass ein Kind ihnen zuhörte, wenn sie leise darüber sprachen. Das Blut war ihr gemeinsames, geheimes Zeichen.
    Zwischen Elgins Beinen schloss sich Lamberts gebeugte Hand über ihrem Geschlecht wie eine Muschel, und darin spürte er das Blut, nur eine kleine Menge, nichts, was ihn ängstigte. Es fühlte sich träge und zugleich sehr lebendig an.
    Sie lag immer noch still. Erst als er zu ihr kam, gab sie einen Laut von sich, der klang wie ein Schluchzen.
    »Tu ich dir weh?«, fragte er.
    »Nein«, sagte sie, »ich bin doch nicht verwundet«, und ihre Stimme war dunkel wie immer.
    Er sah auf sie hinab, wie sie in ihrem dichten Haar lag, das sich in Schlangen zu verwandeln schien, während sie sich miteinander bewegten. Er sah den Schimmer ihrer geöffneten Augen, und er streifte mit den Lippen über die weiße, weiche Haut ihrer Arme, die sie über sich ausgestreckt hatte. Er war der Einzige, der Elgin Gottschalk so kannte. Das zumindest wusste er, und es bedeutete ihm alles.
    »Ich kann keine Frau in dieser Welt lieben als dich«, sagte er.
    Elgin legte eine Hand an sein nasses Gesicht.
    »Muss es denn gleich wieder die ganze Welt sein?«
    Sie schlang die Beine um seine Hüften und ließ ihn nicht mehr los, bis zum Schluss. Das hatte sie noch nie getan. Lamberts Herz raste, als er sich in sie ergoss, und er legte seinen Kopf in ihre

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