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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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uns. Dass es zu wenige für die praktische Lehre sind, muss ich nicht betonen. Wie viel mehr könnten wir erfahren und erreichen, wenn wir die Schwangeren schon – sagen wir – vier Wochen vor der Niederkunft in unser Institut aufnehmen könnten! Wir würden wertvolle Erkenntnisse gewinnen über den zu erwartenden Geburtsverlauf, das verbesserte unsere diagnostischen Möglichkeiten erheblich und …«
    Kilian setzte sein Glas an und leerte es in einem Zug.
    Clemens riss seinen Blick los von dem Feuer, das funkenstiebend ineinander fiel. »Sie ahnen nicht, wie oft mich diese Frage schon gequält hat«, sagte Clemens und drehte sein Glas in den Händen. »Dieses ›Zu-spät-Sein‹, nur noch das Instrument eines unabwendbaren Schicksals …«
    Er sprang auf und begann auf und ab zu gehen.
    »Was nutzen mir meine Messinstrumente, meine Erkenntnisse, wenn ich damit nichts ausrichten kann? Ich gewinne Einsichten aus dem präparierten Becken einer toten Frau, ich sehe vor mir, dass ich ihr nicht helfen konnte, ich notiere Zahlen und fertige eine Zeichnung an. Ich gelange zu einem Wissen, das keine Anwendung findet. Weil ich zu spät komme! Weil ich auf die Geburt als Mittel der Diagnose angewiesen bin! Wenn wir die Frauen über einen längeren Zeitraum vor der Niederkunft untersuchen könnten, wenn wir unsere Erkenntnisse gewinnen könnten, um helfend einzugreifen …«
    »Das ist es doch genau, worum es mir geht, mein Freund«, ließ Kilian aus seinem Sessel verlauten. »Mal abgesehen von meinem innigen Wunsch nach einer wissenschaftlichen Lehre, die dieses Prädikat verdient.«
    »Gebe Gott, dass Ihr Ersuchen auf fruchtbaren Boden fällt«, sagte Clemens. »Und wenn die Frauen wissen, dass sie von diesen entwürdigenden Strafen befreit werden …«
    Kilian erhob sich, griff auf dem Kaminsims nach der Weinkaraffe und kam auf Clemens zu.
    »So wird sich in hoffnungsvoller Weise unser Haus füllen, es wird unser Ansehen steigern und uns vieles leichter machen.«
    »Glauben Sie, dass uns die Frauen mit mehr Vertrauen begegnen werden, wenn wir in dieser Weise für ihre Würde eintreten?«
    »Ich glaube, sie werden vor allem ihren Vorteil begreifen, den sie erhalten, nicht wahr? Was ein Handel ist, wissen die meisten von ihnen.«
    Kilian füllte die Gläser und lächelte erneut.
    »Lassen Sie uns darauf anstoßen, dass unser Landesvater die Gelegenheit nutzt, sich im Geist des Fortschritts zu profilieren. Möge unser altes Accouchierhaus schon bald aus den Fugen geraten …«
    Der Professor wandte sich ab und lauschte Stimmen nach, die mit einem Mal im Haus zu hören waren. Ein kurzes Klopfen ließ Clemens zusammenzucken.
    »Sie möchten recht schnell zum Institut kommen, Herr Professor«, hörte er Pauli, den Hausknecht, sagen. »Da ist eine Frauensperson in den Wehen.«
    »Trinken Sie aus, Herr Kollege«, sagte Kilian. »Mir scheint, dies ist ein Zeichen.«
     
    Die Nachtluft schien ihre Gedanken zu schlucken und erübrigte jedes weitere Wort. Oben am Markt schlug die Rathausuhr zur halben Stunde, und sie legten den Weg zum Haus Am Grün schweigend in zügigen Schritten zurück.
    Kilian folgte dem Hausknecht und dem schwankenden Licht der Laterne, die er trug. Der Professor ging leicht vornübergebeugt, als müsste er gegen einen starken Wind anlaufen, und hatte die Hände auf dem Rücken zusammengelegt. Seinen Stock mit dem Elfenbeinknauf, ohne den er sonst nie auf der Straße anzutreffen war, hatte er vergessen. Clemens konnte sehen, wie er seine behandschuhten Finger bewegte, sie spreizte und wieder schloss.
    Als hätte er bereits eine Ahnung gehabt von der Frage, die er wenig später stellte: »Ich schließe daraus, dass Sie sich zu einem Tastbefund haben hinreißen lassen?«
    Es zeigte sich keine Unsicherheit in Gesa Langwassers Gesicht, als sie sich von dem Fenster abwandte, das sie auf das Geheiß des Professors geöffnet hatte. Die Luft war zugegebenermaßen stickig gewesen in der Kammer. Beim Eintreten war Clemens auf den angstvollen Blick der Frau getroffen. Sie musste aus einem erschöpften Kurzschlaf aufgeschreckt sein, als sie an die Bettstatt getreten waren.
    »Nun?«, hatte Kilian gefragt, und unglücklicherweise sah die Jungfer Langwasser sich aufgerufen, dem Professor zu referieren. Die Wasser seien gebrochen, kurz nachdem sie Pauli auf den Weg geschickt hätten, und dann hatte sie von den Wehen geredet, die ohne weitere Wirkung auf den Muttermund geblieben waren.
    »Ist Ihnen entfallen, dass der

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