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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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Tastbefund den Schülerinnen untersagt ist, es sei denn, sie werden ausdrücklich während des Unterrichts dazu aufgefordert?«
    »Ich hielt es für nötig, Herr Professor«, sagte Gesa. Sie wirkte ganz und gar nicht, als wollte sie Kilian ausweichen, und sah ihm ruhig dabei zu, wie er den hohen Filzhut abnahm.
    Hinter ihm räusperte sich Lotte Seiler.
    »Wir hatten keine Sicherheit über die Wehen und mussten doch wissen, ob es schon an der Zeit ist, nach Ihnen zu schicken …«
    »Verschonen Sie mich mit Ihren Ausreden. Sagen Sie mir lieber, wo sich Frau Textor aufhält. Wieso hat sie diese Anmaßung nicht verhindert?« Kilians Stimme war inzwischen schneidend, seine Bewegungen umso ruhiger. Er legte seine Handschuhe in den Hut, reichte diesen an Lotte Seiler, ohne sie weiter zu beachten, und knöpfte seinen Gehrock auf.
    Es war nichts zu hören außer dem gepressten Atem der Frau.
    »Haben Sie Schmerzen im Rücken?« Clemens stellte diese Frage, nachdem er sie eine Weile beobachtet hatte. Er sah ihre Hände zur Seite zucken, als dürften sie nichts verraten. Sie wandte ihr verzerrtes Gesicht ab, als ihr Körper sich aufbäumte, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Als Gesa neben sie trat, griff sie sofort nach ihr.
    »Ja«, hörte Clemens die Hebammenschülerin Langwasser sagen, während sein Blick unvorbereitet auf ihre grauen Augen traf, »im Rücken scheint es ihr besonders zuzusetzen.«
    »Wollen Sie mir einmal zeigen, wo es Sie quält?« Er beugte sich zu der Frau hinunter, die ihm gehetzt entgegenstarrte. Unter der nächsten Schmerzwelle glitt ihre freie Hand nach hinten, während die andere sich noch immer an Gesa klammerte.
    »Ich will auf der Stelle die Haushebamme hier sehen«, herrschte Kilian Lotte Seiler an, »und im Übrigen sind Sie mir eine Antwort schuldig geblieben. Glauben Sie nicht, dass mir das entgangen ist.«
    »Möglicherweise ist Frau Textor von ihrem Rheuma geplagt«, sagte Clemens, während seine Finger vorsichtig das Kreuzbein der Schwangeren abtasteten. »Sie leidet zuweilen darunter.«
    Kilian schwieg mit deutlichem Ärger und nahm zur Kenntnis, dass die Seiler auf ihren Lippen herumkaute, als sie den Gehrock entgegennahm.
    »Los also, bringen Sie mir das Protokollbuch.« Der Professor schob seine Ärmel zurück, bemerkte die durchfeuchteten Stellen, die das Fruchtwasser hinterlassen hatte, und ging mit einem Seufzer neben dem Bett auf die Knie.
    »Nun denn, sehen wir, wie die Sache steht.«
    Gesa, der Kilian fürs Erste keine Beachtung zu schenken gedachte, hörte noch etwas anderes.
    Ich halte nichts davon, einer Kreißenden zu sagen, wie das Kind liegt.
    Aber Kilian sagte es.
    Sie wird den Tod fürchten und aufgeben. Soll ich ihr vom Sterben sprechen, wenn es noch nicht an der Zeit ist, sich dafür bereitzumachen?
    Von Tante Bele selig bekam Gesa an diesem langen Tag nichts mehr zu hören. Dabei war es zu ihren Lebzeiten selten vorgekommen, dass ihr etwas die Sprache verschlug.

    Die Haut spannte über den eitrigen Pusteln und tat weh, ohne dass er sie berührte. Pauli hatte seine Schritte verlangsamt, und der Abstand zwischen ihm und den Herren Studenten auf dem Pilgrimstein vergrößerte sich zusehends. Während er die jungen Männer mit wehenden Rockschößen die ersten Häuser vor der Elisabethkirche erreichen sah, trödelte er noch an den alten Bäumen des Botanischen Gartens entlang. Es bestand kein Grund zur Eile mehr, seit er in der Ketzerbach auf die Studenten gestoßen war, die soeben das Anatomische Theater verlassen hatten. Sie wussten nun, dass sie sich eilig zu einer bevorstehenden Geburt im Auditorium einfinden mussten. Die anderen Studiosi hatte er in ihren Unterkünften angetroffen, und zwei konnte er nur mit Mühe wecken, da sie einen Rausch ausschliefen. Wie immer hatte er von jedem ein paar Heller erhalten.
    Jene drei Studenten, die er zuletzt aufgetrieben hatte, waren bereits anlässlich einer frühen Sektion in der Anatomie gewesen. Selbst als er noch näher hinter ihnen gegangen war, hatte Pauli ihnen kaum zugehört bei ihrem angeregten Gespräch. Viele der Worte, die sie benutzten, waren ihm ohnehin vollkommen unverständlich, und auch worüber sie sich im Einzelnen begeisterten.
    Wenn sie von einem Kadaver sprachen, dann wusste Pauli allerdings, dass ein toter Mensch gemeint war, und er machte sich möglichst wenig Gedanken darüber, was die mit so einem taten. Eine Ahnung davon war nicht ausgeblieben, denn er kannte die Sammlung des Professors. Er

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