Die Hebamme
sich auch nicht geben wollte, als man sie auf den Tisch bettete. Den Praktikanten und Geburtshelfern sollte im Folgenden eine Untersuchung der Geburtsteile und die Vermessung des Beckeneingangs in horizontaler Lage ermöglicht werden.
Doktor Heuser legte den Studenten mit einiger Bestimmtheit nahe, dass die innere Messung mit den Fingern die einzig sinnvolle sei. Er plädierte für die Verwendung von Zeige- und Mittelfinger der linken Hand. Vor einer Demonstration jedoch sahen sich die lehrenden Ärzte veranlasst, den Zustand der Patientin zu diskutieren, nachdem ein veränderter Puls gemessen wurde.
Die Protokollanten vermerkten die Durchführung eines Aderlasses, zu dem man sich entschloss, um einen möglichen Krampfanfall der Gebärenden aufzuhalten. Dass diese Behandlung unzweifelhaft zum richtigen Zeitpunkt erfolgte, bewies die Tatsache, dass sich die Gebärende deutlich beruhigte. Der Unterricht konnte fortgesetzt werden.
Jeder Praktikant fand nun Gelegenheit, nach Anleitung Doktor Heusers die innere Messung durch die Spreizung der genannten Finger zu probieren. Doktor Heuser forderte – was im Verlauf des studentischen Unterrichts ungewöhnlich war – auch die Hebammenschülerinnen auf, diese Übung zu vollziehen. In den Protokollen fand dies keine Erwähnung.
Der Tag schritt schließlich noch einige Stunden voran, bis sich die Geburt zu einer wirklich interessanten Exploration entwickelte. Bis dahin hatte die Natur alle Beteiligten zum Abwarten gezwungen. Dann befand Professor Kilian, dass längeres Warten gefährlich sei und der Beistand der medizinischen Kunst notwendig. Er benannte die Merkmale dieser besonderen Situation ausführlich, während die Haushebamme Anweisung erhielt, aus dem Instrumentenschrank die von ihm eigens entwickelte Geburtszange herbeizuholen.
Es wurde notiert, dass die Patientin Anwandlungen von Erbrechen, Schluchzen und unlöschbarem Durst hatte, also Zeichen von Schwäche aufwies. Die Wehen hatten nachgelassen und waren unwirksam. Der Kopf des Kindes hatte sich in der ungünstigen Querstellung festgestellt. Da sich die bevorstehende Extraktion mit der Zange unter der Mitwirkung von Wehen günstiger gestalten sollte, wurde der Patientin eine Gabe von Mutterkorn, Secale cornutum , verabreicht. Bevor die Wirkung des Mittels einsetzte, erläuterte der Professor, dass es unerlässlich sei, zunächst mit der Hand den Kopf des Kindes zu erfassen und zu wenden. Während er dies an der Schwangeren erfolgreich durchführte, demonstrierte Doktor Heuser die entsprechenden Griffe an der ledernen Mutter, wo diese zu wiederholen waren, auch von den Hebammenschülerinnen. Im Unterricht dieses Semesters begnügte man sich bei dieser Touchierübung mit dem lederbezogenen Kinderschädel, der im Inneren des geburtshilflichen Phantoms ertastet und bewegt werden sollte. Die wirklichkeitsnäheren Mittel standen derzeit zum Bedauern des Professors nicht zur Verfügung.
Dafür entschädigten die Übungen mit der Zange hinlänglich. Da den zukünftigen Hebammen jegliche Verwendung von Instrumenten strikt untersagt sein würde, hatten sie unter den schwer zu erlernenden Traktionen Gelegenheit, ihrer vornehmlichen Pflicht an der Seite eines operierenden Arztes nachzukommen. Bei so manchem der jungen Herren war dann doch eine markante Blässe zu bemerken, wenn die Anstrengung, die Zange anzulegen, zu keinem rechten Erfolg führen wollte. Und doch waren sie aufgerufen, keinerlei Entmutigung zu zeigen, wenn sie das Schloss der Zange lösen und jedes Blatt erneut wieder behutsam tiefer einführen mussten.
Als einen eindringlichen Lehrsatz des heutigen Unterrichts notierten die Praktikanten, dass – hatte man einmal angefangen, mit der Zange zu operieren – das Werk bis zum Ende fortzusetzen sei.
Obwohl die Patientin mit ihrem jämmerlichen Betragen alle Anwesenden anstrengte, ermöglichte der Geburtsverlauf eine ausführliche Unterweisung aller Praktikanten. Nicht ohne Grund wies Professor Kilian mahnend darauf hin, dass die Anwendung der Zange neben Geschicklichkeit besonders auch Körperstärke und ruhige männliche Fassung verlangte.
Zwar erwiesen sich die Hebammenschülerinnen durch ihren sorgsamen Umgang als Trost für die Gebärende, trotzdem fiel diese – letztlich erschöpft von der Geburtsarbeit – in Ohnmacht. Doktor Heuser ordnete an, sie mit Essig zu waschen, was von der Haushebamme mit kräftigen Strichen erledigt wurde, jedoch erfolglos blieb. Professor Kilian brachte daraufhin, ohne
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