Die Hebamme
gilt …«, sagte er, in Gedanken versunken. »Was taten Sie?«
»Oh«, hörte er sie munter sagen, »bedenkliche Einpressungen? Nein, die waren nicht festzustellen. Ich ließ die Mutter eine seitliche Lage einnehmen und die Knie zur Brust ziehen, das verstärkte die Wehen. Den Rest konnte ich ohne Nachteil für Mutter und Kind der Natur überlassen.«
Sie bewegte sich mit eiligen Schritten durch das Nebenzimmer. Kilian riss seinen Blick von ihrem Arbeitstisch los, gerade als sie im Vorbeigehen dagegenstieß. Sie gab einen erschreckten Laut von sich und griff nach herabstürzenden Büchern. Noch während er zögerte, näher zu treten, segelten einige lose Blätter zu Boden. Es kostete ihn nur einen Schritt auf die Tür zu, um sich eilig danach zu bücken.
»Ach, Sie sind die geheimnisvolle Auftraggeberin.« Er war überrascht, dass der Satz gefallen war, bevor er darüber nachgedacht hatte. Es fiel ihm schwer, seine Faszination angesichts der Radierung zu verbergen. Der Fötus war meisterhaft getroffen, die Darstellung ein Kunstwerk.
»Auftraggeberin ja, aber es lag mir fern, ein Geheimnis daraus zu machen.«
Sie kam aus dem anderen Zimmer, ohne die Tür hinter sich ganz zu schließen. Ob sie das leichte Zittern seiner Hand bemerkte, als er ihr den Bogen höflich zurückreichte, hätte er nicht zu sagen gewusst. Kilian aber fiel auf, dass sie jetzt ein blaues Kleid trug statt des schwarzen, und ihr Haar war sehr flüchtig frisiert.
»Büttner hat mir erzählt, dass Sie ihm für seine Skizzen Zutritt zu Ihrer Sammlung gewährt haben«, sagte sie. »Dafür möchte auch ich mich bei Ihnen bedanken.« Sie legte das Blatt auf die Kommode. »Ich werde nachsehen, wo Marthe mit dem Kaffee bleibt, und dann drängt es mich zu erfahren, was Sie zu mir führt.«
Die alte Magd hatte für ihre Herrin eine kleine Mahlzeit hergerichtet, an der teilzunehmen Kilian eingeladen wurde. Während Marthe umständlich den Tisch neu deckte, ertappte der Professor sich bei der Erkenntnis, dass diese Frau, auf die Homberg so große Stücke zu halten schien, sich nahezu in der Gegenwart eines fremden Mannes umgekleidet hatte. Sie hatte tatsächlich die Kleider gewechselt und sich erfrischt, während sie durch eine angelehnte Tür, die doch vermutlich in ihr Schlafzimmer führte, mit ihm parlierte. Er wurde sich nicht klar darüber, ob sie auf eine befremdliche Weise unbefangen oder schlicht respektlos war.
Von der Suppe aß Professor Kilian nur wenig. Während seines Vortrags erweckte er des Öfteren den Eindruck, als würde er am liebsten aufstehen, um im Zimmer auf und ab zu gehen. Beinahe wollte Elgin ihn ermuntern, sich zu erheben, solange sie noch aß, doch sie sah davon ab. Sein Verhalten geriet so auf eine unterhaltsame Weise hölzern. Immer wieder legte er kleine Sprechpausen ein, als müsste er an manchen Stellen einer schon oft gehaltenen Rede bestimmte Passagen auslassen. Auch war er sehr bemüht, ihr darzustellen, was er erreichen wollte. Weniger ging er darauf ein, wie im Gebärhaus zu Marburg der tatsächliche Stand der Dinge war. Was ihn wohl davon abhielt, endlich sein Anliegen mitzuteilen?
»Als ich vor vielen Jahren …«, setzte Kilian eben wieder an, »als ich gegen Ende meines Studiums beschloss, die Entbindungskunst zu erlernen, da war die praktische Lehre dem angehenden Arzt noch so gut wie verschlossen. Die praktische Medizin hierzulande war in jenen Zeiten …«
»Ich weiß, wovon Sie sprechen«, sagte Elgin. Sie fand, es war an der Zeit, den Redefluss des Mannes zu unterbrechen. »Mein Vater hat damit seine sehr eigenen Erfahrungen gemacht.«
Kilian legte den Kopf schief. Ein wenig glich er einer weiß gefiederten Eule. »Ihr Vater?«
»Er war zunächst einfacher Chirurg, der eine lange Zeit in der Armee diente. Dann promovierte er in Wien und wurde einige Jahre später Professor der Chirurgie in Freiburg.«
Kilian kniff die Augen zusammen. »Professor Gottschalk?«, fragte er bedächtig. »Irgendetwas will sich erinnern …«
»Professor Matthäus Gottschalk«, sagte Elgin und sah zu dem Porträt ihres Vaters hinüber, seinem hageren Gesicht unter der bezopften Perücke. »Vielleicht haben Sie seine Antrittsrede gelesen, oder Sie erinnern sich an Berichte darüber, welche Empörung sie an der Universität auslöste.« Sie schwieg einen Moment, als die Erinnerung an den Tag in ihr hochkam, heftig wie immer. »Einige der Studenten …«, fuhr sie fort, »… nun, man kann sagen, sie gerieten außer
Weitere Kostenlose Bücher