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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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Ungehorsam, meinen Sie?«
    »Es steht mir nicht zu, Sie erziehen zu wollen. Oder sagen wir besser: Mir liegt wenig daran. Ich weiß also nicht, wovon Sie sprechen.«
    »Lene Schindler. Es ist noch nicht lange her, dass Sie mir eine Mitverantwortung für den Tod ihres Kindes nahe gelegt haben.«
    »Den Tod? Es ist sehr aufschlussreich, Sie das sagen zu hören.«
    »Sie haben ihn angenommen.«
    »Wir haben ihn nicht beweisen können. Deshalb ist Lene Schindler freigesprochen worden. Aber darüber hinaus war sie ein Opfer überholter Gesetze. Gesetze, die Frauen wie sie nicht von losen Ausschweifungen abhalten können, sondern sie stattdessen in noch schlimmere Verbrechen treibt. Neben einem jungen Anwalt war es vor allem Professor Kilian, der mir zu einem anderen Verständnis der Dinge verholfen hat. Seine Aussagen im Verhör hatten einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Urteil.«
    »Kilian hat im Prozess ausgesagt? Aus welchem Grund?«
    »Gottschalkin, was wollen Sie mir weismachen? Dass Sie davon keine Kenntnis hatten? Dass diese junge Person, Lene Schindler, aus dem Gebärhaus davongelaufen ist, als ihre Wehen einsetzten? Dass sie sich der Hilfe entzog, die das Leben ihres Kindes hätte retten können, von dessen Schicksal wir bis heute nichts wissen? Sie sehen blass aus, Gottschalkin. Nehmen Sie einen Schluck von dem Wein, den Sie nicht anrühren wollen. Er ist gut, glauben Sie Ihrem alten Freund Homberg. Kommen Sie, Sie wussten es wirklich nicht? Sitzt eine Hebamme nicht an der Quelle des Klatsches?«
    »Warum haben Sie mich Kilian empfohlen?«
    »Die Zuflucht, die er einfachen Weibern wie Lene Schindler bietet und noch in viel stärkerem Maße bieten will, indem er sich für die Abschaffung der Unzuchtstrafe stark macht beim Landgrafen …«
    »… mit denen er sein Haus füllen will. Mit Frauen, die es aus freien Stücken nicht aufsuchen. Er hat keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass die Schwangeren der Lehre zu dienen haben. Es war deutlich zu verstehen, auch wenn er es nicht ausgesprochen hat. In Wien war das vollkommen anders …«
    »Ach, Wien. Wien ist nicht Marburg. Und wie lange ist das her, dass Sie dort unterrichtet wurden? Zwanzig Jahre? Das ist eine lange Zeit in den rasanten Entwicklungen unseres Jahrhunderts, dem allerdings ein trauriger Verfall der Sitten zum Nachteil gereicht. Der Vorteil, den ich für unsere Stadt in einem Gebärhaus entdecken kann, ist eine gewisse Disziplinierung der Gefallenen, eine Korrekturanstalt, sozusagen. Denn keine Frau von Anstand würde sich doch in solch einer Weise von männlichen Personen befühlen und entbinden lassen. Doch wenn es um Leben und Tod geht, ist das Eingreifen erfahrener Ärzte unerlässlich. Die Lehre braucht ein Institut, und das sollte in der Stadt nicht als Schandfleck gelten. Warum wollen Sie der Wissenschaft, der Sie durch Ihren Beruf verbunden sein müssten, nicht ein wenig behilflich sein? Ich bitte Sie, Gottschalkin. Ein Gelehrter will Sie an seine Seite berufen …«
    »Um den Ruf seines Hauses zu verbessern? Bei wem? Ich würde das gerne verstehen.«
    »Gottschalkin, sind Ihre Zweifel nicht übertrieben? Es wundert mich, dass Sie hinter allem eine Verschwörung vermuten müssen.«
    »Ich wäge nur ab, Herr Rat. Ich will weiter das sein, was ich bin. Eine Hebamme.«
    »Sie werden das zu verbinden wissen. Es lassen sich Lösungen finden. Sprechen Sie mit Kilian darüber. Ich schätze Sie und weiß doch zu gut um Ihre Fähigkeiten. Glauben Sie mir, niemandem ist daran gelegen, Sie den Bürgerinnen Marburgs zu entziehen.«
     
    Leider war seine Gattin nicht im Hause, er bedauerte es sehr. Sie hielt sich mit den Kindern im Landhaus seiner Mutter auf, um den Rest dieses Sommers zu genießen. Nur allzu gern hätte sie den Besuch ihrer lieben Gottschalkin empfangen. Sie ließ sie von Herzen grüßen. Ihr Sohn entwickelte sich prächtig.

Acht
    SEPTEMBER 1799
    Gesa setzte sich in ihrem Bett auf, nachdem sie vergeblich versucht hatte, in den Schlaf zu finden. Ihr Rücken war steif und schmerzte. Die vergangenen langen Tage waren sie damit beschäftigt worden, jeden Winkel des Hauses zu putzen. Alle Wäsche hatte man sie aus den Schränken holen lassen, um sie zu inspizieren. Dann wuschen, flickten und räumten sie. Und natürlich lüfteten sie unaufhörlich.
    »Was sind nun eigentlich Miasmen?«, hatte Lotte gefragt.
    »Miasmen sind, so sagt man …«
    »Ach, man sagte dir. Meinst du, ich wüsste nicht, wer dir ziemlich ausführlich

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