Die Hebamme
sich, weil er sich für ihren Geschmack zu sehr für die Vereinigung der akademischen Medizin mit dem Handwerk der Chirurgie einsetzte.«
Offenbar kannte Kilian die Geschichte nicht. »Wenn Sie die Tochter eines Arztes sind«, entgegnete er leichthin, »dann muss ich Ihnen nicht länger erklären, was wir für die Geburtshilfe erreichen wollen.«
»Aber vielleicht doch, warum wir dieses zweifellos interessante Gespräch hier führen?«
»Gestatten Sie mir, noch Folgendes hinzuzufügen, und dann will ich es Ihnen sagen.« Er rückte den Stuhl ein wenig vom Tisch ab und machte mit den Schultern eine Bewegung, als sei ihm sein Gehrock inzwischen zu eng geworden. »In diesen Dürrejahren der Lehre, von denen ich eben erzählte, mussten wir uns selbst helfen, um praktische Übung zu bekommen. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass uns eine Hebamme dabei behilflich war. Sie ließ uns in ihr Haus kommen, damit wir lernen konnten, wie man Schwangere untersucht. Sie nahm uns auch mit zu Entbindungen in die Häuser der Armen, die wir dafür bezahlten. Einer von uns übernahm abwechselnd die Rolle des Lehrers, fragte und entschied, was zu tun war. Diese Privatentbindungen waren uns strikt verboten, aber sie lieferten wertvolle Erfahrungen. Wenn auch oft bestürzende und bittere.«
»Bitter warum?«, fragte Elgin. »Weil eine Hebamme Sie etwas lehrte?«
»Mich bestürzten die abergläubischen Praktiken, auf denen die Wöchnerinnen beharrten, die Unwissenheit, die sie sich weigern ließ, einen Arzt eingreifen zu lassen. Auch später, als ich mich in meiner Heimatstadt als Geburtshelfer niederließ – wie oft hat man mich zu spät holen lassen. Weil die Gebärende sich auf nichts als den Beistand der Hebamme verlassen wollte. Oder weil die Hebamme nicht erkannte, dass sie die Grenzen ihres Könnens erreicht hatte.« Während Elgin ihrem Gast dabei zusah, wie er sich in Rage redete, beeilte sich dieser zu sagen: »Ich spreche hier, damit Sie mich richtig verstehen, von den einfachen, ungebildeten Wehemüttern, die nie eine Prüfung abgelegt haben, die glauben, schon hinlänglich für den Beruf geeignet zu sein, weil sie zwei gesunde Fäuste haben. Durch sie sind im Lauf der Jahrhunderte vermutlich mehr Menschenleben vernichtet worden als durch Krieg, Hunger und Pest. Ich bin diesen rohen Weibern begegnet, öfter, als es mir lieb war. Es hat mich gelehrt, wie unerlässlich die Ausbildung guter Hebammen ist. Der Unterricht muss in den Gebärhäusern erfolgen, da sie über die Mittel des Fortschritts verfügen. Wo Gelehrte der Geburtshilfe sie in einer notwendigen Weise prüfen statt eines Kreisphysikus, der nichts als ein paar anatomische Grundkenntnisse abfragen kann.«
Kilian entnahm seiner Brusttasche ein zartgelbes Tuch und tupfte sich die erhitzten Schläfen.
»Sie haben meine volle Zustimmung«, sagte Elgin. »Den Vorteil einer solchen Ausbildung habe ich selbst genossen. In der Wöchnerinnenabteilung des Wiener Bürgerspitals. Professor Wolf war ein Freund meines Vaters.«
»In Wien, ich verstehe«, sagte Kilian, während er sein Tuch akkurat faltete. »Nun, der geschätzte Kollege Wolf ist mir selbstverständlich ein Begriff. Obwohl seine Grundsätze – nun, ich denke, Ihrer Ausbildung mögen sie sicherlich zugute gekommen sein.« Der Ton war eine Spur zu jovial, und noch immer hatte sie keine Idee, was er von ihr wollte.
»Ich denke, es ist mir in allem zugute gekommen«, gab sie zurück. »Vor allem, da Professor Wolf keinen Unterschied in der Unterrichtung von Studenten und Hebammenschülerinnen machte. Wir hatten gemeinsame Vorlesungen und hospitierten jeweils abwechselnd bei der ersten Untersuchung – und bei den Geburten -, Studenten wie Schülerinnen.«
»Das ist bei uns im Grunde ebenso üblich. Ich darf doch wohl annehmen, dass auch Professor Wolf seine Hebammen nicht im Gebrauch von geburtshilflichen Instrumenten unterrichtet?«
»Das allerdings nicht. Die Studenten lernten dies ausschließlich am Phantom. Die natürlichen Geburten leiteten dagegen ausschließlich die Haushebammen. Er hält es heute noch so.«
»Professor Wolf entscheidet in dieser Hinsicht – so heißt es in Gelehrtenkreisen – sehr großzügig zugunsten der Natur.«
»Ich würde sagen, er lässt die Natur entscheiden. Er schrieb mir in einem seiner letzten Briefe, dass die meisten Mütter und neugeborenen Kinder nicht aus natürlichen Ursachen krank werden, sondern weil man sie naturwidrig behandelt.«
Die Wendung des Gesprächs
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