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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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zu verstehen gegeben, dass er sie schützen musste. Ob Kilian tatsächlich das Gespür besaß, zu bemerken, was in ihm vorging? Wie sonst konnte er darauf verfallen, ihn darauf anzusprechen, ob er jemals zu heiraten gedachte? In einer vertraulichen Weise hatte Kilian ihn auf die Seite genommen.
    »Im Leben eines Geburthelfers sollten auch Ehe und Familie ihren Platz haben«, hatte er gesagt. »Wiederholen Sie nicht die Fehler Ihres alten Lehrers. Mir ist dieser Teil wohl schlichtweg entfallen. Merkwürdig, nicht? Da ist man eine so lange Zeit seines Lebens mit dieser besonderen Wissenschaft befasst, ohne selbst … Nun, es ist zu spät, mit dem Schicksal zu hadern. Ich darf gestehen, dass ich nichts vermisse. Doch Sie sind jung, mein lieber Freund. Und durchaus ein Mann mit einer Neigung zu Empfindsamkeiten – das glaube ich doch inzwischen von Ihnen zu wissen.« Sein Augenzwinkern hatte Clemens als anzüglich empfunden. »Vielleicht ist es für Ihr berufliches Wirken von Vorteil, wenn Sie sich … nun, sagen wir, wenn Sie Ihrer Seele nachgeben und sich dem Verstand Ihrer Physis zuwenden?«
    Zum ersten Mal war Clemens von Kilian abgestoßen und fand seine Selbstgefälligkeit irritierend. Nichts davon durfte auf Gesa zurückfallen, nicht der geringste Schatten einer Mutmaßung sollte ihr schaden.
    Tatsächlich hatte sich Clemens einmal verlobt – in Kassel, noch während er sein Studium abschloss. Philippa war die Tochter eines Bankiers und von ungezügeltem Wesen. Sie war schön und gefiel ihm, doch sie schien stets in Erwartung von etwas, das sie vergebens bei ihm suchte. Er war höflich mit ihr, aufmerksam und, wie er fand, galant, er meinte, zärtlich für sie zu empfinden. Doch eines Tages – in einer bewachsenen Laube im Garten der Eltern – bat Philippa ihn, sie freizugeben und das Verlöbnis zu lösen. Ihn selbst überraschte am meisten, wie wenig gekränkt er gewesen war, sie sagen zu hören, dass sie einen anderen leidenschaftlich liebte. Was ihn damals bekümmert hatte, war die Feststellung, dass er nicht wusste, wovon sie sprach.
    »Weißt du«, hatte Philippa gesagt, »so wie du aufgrund deiner Profession die Frauen berührst … Möglichweise hält dich das davon ab, einer richtig nahe zu sein.« Sie hatte, während sie sprach, eine Rose entblättert, merkwürdigerweise vergaß er das nie. »Vielleicht«, sagte Philippa dann, »vielleicht musst du deshalb noch viel mehr Angst vor der Liebe einer Frau überwinden als jeder andere Mann. Ich weiß, dass du dazu fähig bist. Ich allerdings bin wohl zu ungeduldig, darauf zu warten.«
    Im Grunde war das Gespräch jenes Nachmittags das wahrhaftigste, das sie je miteinander hatten – was er überhaupt je mit einer Frau hatte, um genau zu sein.
    Clemens ging aus dem Haus, und wenn es nur für wenige Stunden war. Seit der irritierenden Unterredung mit Kilian schlief er nicht mehr in der Dachkammer des Instituts. Seine Wirtin, die um sein Wohl besorgt war und ihm nun an jedem noch so frühen Morgen ein kräftigendes Frühstück vorsetzte, begrüßte das sehr.

    In der Hofstatt sah Elgin von ihrer Niederschrift auf. Es war, als hätten ihre Gedanken nur auf einen günstigen Moment gewartet, um von der Arbeit abzuschweifen.
    Die Hebammentasche hatte nicht zu ihr zurückgefunden. Dafür hatten Gerüchte die Runde in Marburg gemacht, denen sie neuerdings etwas aufmerksamer begegnete. Vom jungen Fessler war die Rede gewesen. Mit zunehmend ausgeschmückten Schilderungen, wie er auf eine Weise zu Pferde die Stadt hinter sich ließ, die nicht alle Tage zu sehen war. Von der Frau, die es verstanden hatte, sich hinter ihrem Hut und an seiner Brust zu verbergen, wusste man nur, dass sie an jenem Nachmittag ein blaues Kleid trug. Und nachdem Therese Herbst sich bei ihrer engsten Freundin Malvine Homberg ausgeweint hatte, war trotz aller Diskretion in den Häusern der Oberstadt bekannt, dass sie es nicht gewesen war.
    Die Brauteltern forderten eine Erklärung, und der junge Fessler hatte sich immerhin ernsthaft entschuldigt. Es musste ihm gelungen sein, seiner Braut gegenüber aufrichtiges Bedauern darüber zu zeigen, dass ihr das Geschwätz solch heftigen Kummer bereitet hatte. Über die Frau auf dem Pferd sagte er nichts, außer dass seine Ehre es ihm gebot, ihr Geheimnis zu wahren. Caroline Fessler hatte dafür gesorgt, dass das junge Paar dieses Gespräch unter vier Augen führte, und danach flehte Therese ihre zweifelnden Eltern unter einer neuen Flut von Tränen an,

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