Die Heidehexe - Historischer Roman
verließ er den Raum, ließ angsterfüllte Gäste zurück, die sich beeilten, Abschied von der Fürstenfamilie zu nehmen.
Während die Reiter, die er zu den jungen Edelmännern Niedersachsens aussand te, unterwegs waren, fingerte Christian behutsam den Handschuh Elisabeths aus der Jagdtasche, starrte ihn gedankenverloren an, streichelte über den Spitzenstoff, küsste das Kleidungsstück, das sie getragen hatte und noch den Duft seiner Besitzerin verströmte.
Wie fein, wie zart, wie edel, dachte er und heftigster Liebesschmerz wütete in seiner Brust. Er warf sich aufs Bett, schluchzte.
Plötzlich kam ihm eine Idee. Er nahm seinen Helm aus dem Schrank, läutete nach dem Diener, der ihm eine Dose Leim vom Schlosstischler besorgen musste und erhitzte ihn eigenhändig. Dann klebte er den Handschuh am Helm fest.
Da fehlt noch was, sinnierte er, sein Werk betrachtend. Tausend Einfälle schwirrten ihm durch den Kopf, bis sich schließlich ein Satz in seinem Hirn verankerte. Wieder orderte er den Diener herbei, befahl ihm, auf dem schnellsten Weg den Schmied aufzusuchen und die Worte in den Helm brennen zu lassen.
Als am späten Nachmittag einer nach dem anderen seiner Freunde eintrudelte, stand er in voller Uniform vor dem mannshohen Spiegel, und auf seinem Helm prangte unter Elisabeths Handschuh der Schriftzug: „Tout pour Dieu et pour elle.“
„Was heißt das?“ fragte der Grafensohn Siegfried von Neulohe, der des Französischen nicht mächtig war.
„Für Gott und für SIE“, erklärte ihm Wilhelm von Schwanwerder.
„Und wer ist SIE?“
„Damit ist die Pfalzgräfin gemeint, flüsterte Wilhelm, der Denker genannt, denn er hatte keine Lust, sich den Unwillen des Herrschers zuzuziehen.
„Ist Christian ihr Liebhaber?“, hakte Siegfried, der Bulle, unverdrossen nach. Den Beinamen trug er wegen seiner übermenschlichen Kraft.
„Wird wohl so sein, oder weshalb sollte der Herzogssohn sonst diese Worte auf seinen Helm schreiben?“
„Und der Handschuh? Gehört er ihr?“, raunte Siegfried.
„Herrgott noch mal. Natürlich. Und jetzt gib Ruhe“, schimpfte der Schwanwerder.
„Hat jemand von euch eine Frage, meine lieben Freunde?“, fragte Christian. „Dann immer raus damit. Ich habe keine Geheimnisse. Ansonsten freue ich mich, dass niemand den Weg hierher scheute und mich im Stich ließ. Als Einzigen vermisse ich Viktor von Grimmshagen, der die kürzeste Strecke zurückzulegen braucht.“
„Er ist anwesend, unterhält sich noch mit deiner Mutter“, beschwichtigte ihn Ludwig von Ölshausen, den sie den Sanften nannten.
„Dann ist es in Ordnung“, sagte Christian und lächelte süffisant. Er kannte die Schwäche der Fürstin für den Schönen und gönnte ihr ein Gespräch mit ihm, der sie sonst kaum wahrnahm.
Victor war einer der Ersten gewesen, der dem Ruf des Freundes Folge leistete. Die Herzogin hatte ihn abgepasst, sich vor ihm aufgebaut und dadurch den Weg zu Christians Gemächern versperrt.
Der Grimmshagener wollte die Fürstin mit einer tiefen Verbeugung und einem Handkuss abfertigen, um seinem Freund, der ihn anscheinend dringend brauchte, seiner Loyalität zu versich ern. Elisabeth von Braunschweig–Wolfenbüttel nahm all ihren Mut zusammen, sprach den Schönling mit der gebotenen Distanz an: „Warum bist weder du noch ein anderer deiner Familie zum Empfang meiner Nichte erschienen? Die Angehörigen aller umliegenden Adelsgeschlechter haben es sich nicht nehmen lassen, sie würdig zu begrüßen, nur die Grimmshagener glänzten durch Abwesenheit.“
Victor wand sich verlegen. „Teuerste Majestät, ich bringe Euch eine traurige Nachricht. Mein Vater hat am Abend, als ich bei Euch weilte, um Christians Ankunft nicht zu versäumen, schreckliches Unheil angerichtet. Ich bitte, mich für ihn entschuldigen zu dürfen“. Er wiederholte seine Verbeugung.
„Was für ein Unheil mag das sein, dass du dich dafür entschuldigst?“
„Er hat ...“ Victor geriet ins Stocken, musste schlucken, „nun, er hat Eure Freundin durch seine Häscher töten lassen.“
D ie Fürstin starrte ihn ungläubig an. „Sag, dass das nicht wahr ist, Victor. Mit so etwas treibt man keine Scherze.“
„Es ist kein Scherz, gnädigste Herrscherin. Rubina weilt nicht mehr unter den Lebenden. Und mein Vater trägt die Schuld.“
Da gellte Elisabeths Aufschrei durch die Hallen. Ohne Vorwarnung brach sie zusammen, landete auf dem Marmorboden. Und sie schrie, und sie schrie wie ein Kalb, das zur Schlachtbank
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