Die Heidehexe - Historischer Roman
immer daran. Was die Menschen nicht verstehen, tun sie als Teufelswerk ab. Schneller wird eine kundige Frau zur Hexe erklärt als zur Heiligen.“
Er räusperte sich, bevor er fortfuhr: „ Noch etwas. Mir scheint, dass die Kleine schwanger ist. Hast du das nicht bemerkt, Isabella? Tochter einer Hebamme, die ihrer Mutter oft bei Entbindungen geholfen hat.“
Dem Mädchen schoss das Blut in den Kopf. Wie konnte es ihr passieren, nicht zu erkennen, dass die Gerettete kurz vor der Niederkunft stand? Sie hatte den imposanten Leibesumfang auf die vorangegangenen Folterungen geschoben, gedacht, er sei von irgendwelcher, ihr unbekannten Marter derart aufgequollen, hatte sie doch noch nie einen Menschen gesehen, der lebendig einer solchen Tortur entkommen war.
„Großer Gott“, sagte Isabella, „und ich habe dem Mädel Unmengen Mohnsaft gegeben, d amit sie von den Schmerzen, die das Feuer ihr zufügte, nichts mehr spürt. Hoffentlich hat das keine Auswirkungen auf das Ungeborene.“
Richard war bei ihren Worten ernst geworden, wiegte bedenklich das Haupt hin und her. Dann der erlösende Schrei aus der Kehle des Mädchens. Es schlug die Augen auf, wand sich in Wehen.
„Dem Himmel sei Dank“, rief Isabella erleichtert und wies Bernhard an, in einem sauberen Eimer aus dem Fluss zu schöpfen und es zum Kochen zu bringen.
„Womit?“, fragte der Bruder.
„Na, da bin ich wohl gerade zur rechten Zeit gekommen“, brummte Richard, schnappte den Eimer , lief davon, schöpfte Wasser aus der Aller, wies Bernhard an, trockenes Reisig und Zweige übereinander zu horten und entzündete den Holzhaufen alsbald mit Feuersteinen. Nicht lange, und das Wasser brodelte im Eimer. Rasch brachten sie ihn zu Isabella, die schon ungeduldig wartete.
„Ich glaube, die Geburt steht direkt bevor. Da s Mädchen hat mir eben gesagt, dass es bereits heute auf dem Weg zum Scheiterhaufen unter Wehen litt, diese aber ignoriert hat, weil sie darauf gefasst war, auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, bevor sie dem Kind das Leben schenken würde.“
„ Es ist allerdings anders gekommen. Ich werde mich von dannen machen. Ihr wisst, dass Mannsbilder bei keiner Geburt zugegen sein dürfen, niemals das Geschlecht einer Fremden sehen dürfen. Und erst recht nicht das einer Gebärenden.“ Richard lachte wiehernd. Das Mädchen schrie dazwischen und Isabella flehte: „Bleib, Onkel Richard. Lass mich bei der ersten Geburt, die ich ohne meine Mutter bestreiten muss, nicht im Stich.“
Sie legte den Zeigefinger auf den Mund und flüsterte verschwörerisch: „Es wird ja niemand erfahren.“
Sander gab sich geschlagen. „Ein neues Menschlein auf die Welt zu holen, ist wichtiger als Soldaten für den Krieg zu werben.“ Er zog seine Jacke aus, krempelte die Hemdsärmel hoch.
Die Kleine hatte alle zwei Minuten Wehen, kreischte sich die Lunge aus dem Hals.
„Schreien hilft nicht“, sagte Isabella und strich ihr beruhigend über die Wangen. „Du musst pressen. Und zwar, so fest du kannst. Und dabei hecheln.“
„Ich will es versuchen“, beteuerte die Gebärende. “Wie lange wird es noch dauern?“ Wieder schrie sie, denn eine weitere Presswehe überrollte ihren Körper.
„Hecheln“, befahl Isabella wesentlich energischer, spreizte die Schenkel des Mädchens weit auseinander und kniete sich davor. „Der Muttermund ist weit geöffnet. Aber der Kopf des Kindes kommt nicht hindurch. Er steckt in den Geburtswegen fest.“
„ Sie ist zu eng gebaut. Viel zu jung für eine Niederkunft“, räsonierte Richard Sander. „Welches Schwein hat ihr das bloß angetan?“
„Onkel Richard, das ist im Moment nicht unser Thema. Hilf mir lieber.“
„Wie?“, fragte der Hüne unsicher.
„Halt sie fest. Mit deiner ganzen Kraft. Hör nicht auf ihr Flehen und Winseln. Gib nicht nach. Ich muss jetzt etwas tun, was der Kleinen noch mehr Pein verursachen wird. Aber es geht nicht anders, wenn das Kind gesund zur Welt kommen soll.“
Richard nickte, duckte Kopf und Oberkörper der Maid gewaltsam auf das Lager. Isabella hockte sich dicht unter die Brüste, drückte mit gekonnten Griffen auf den Bauch der künftigen Mutter, schob die Leibesfrucht weiter und weiter nach unten. Hurtig sprang sie hinab, kauerte sich wieder zwischen die Schenkel.
„Der Kopf kommt näher. Gleich kann ich ihn fassen“, rief sie aufgeregt. „Pressen“, herrschte sie die Kleine an, die brüllte, als würde sie am Scheiterhaufen brennen. „Onkel Richard, drück den Körper des
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