Die Heidehexe - Historischer Roman
Barbara, Winfried an sich gedrückt, durch die Heide, während Isabella am Fluss kniete und Wäsche wusch. Bei der sengenden Hitze trocknete sie im Handumdrehen.
Victor wollte Asputins Zügel gerade an der Föhre festbinden, um dem Mädchen beim Wäscheaufhängen zuzusehen, als es sich nach etwaigen Hexenjägern umdrehte, denn bei dem leisesten Geräusch gedachte sie der mahnenden Worte des Onkels.
Sie setzte einen Schritt voran, um ihm, nach dem sich ihr Innerstes verzehrte, entgegenzustürmen und wie neulich zu Füßen zu werfen. Der Verstand behielt die Oberhand. Derweil ihr Herz bis zum Halse pochte, verzog sie keine Miene, schaute ihn abschätzend an. Diesen Empfang hatte Victor nicht erwartet, wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Den Blick konnte er nicht von ihr wenden, so sehr er es versuchte.
Und dann vernahm er ihren Gruß. Nicht mit den Ohren, denn der Mund blieb verschlossen. Isabella sprach ihn nicht mit Worten an, sondern mit ihren Augen, die ihm bedingungslose Liebe signalisierten.
Ihm war zumute, wie einem unbescholtenen Junker, der zum ersten Mal etwas tut, das sich für einen Adligen nicht ziemt, als er vor ihr, der geächteten Hexentochter, niederkniete und sie reumütig um Entschuldigung für seine unbedachten Äußerungen bat.
Isabella, die ihn immer noch für Gott Balder hielt, mochte es ähnlich ergehen. Verschämt sagte sie: „Es gibt nichts zu verzeihen. Euer Ausspruch war die Wahrheit. Ich bin keine Jungfrau, habe gelogen, mich meiner Unschuld gerühmt, die ich nicht mehr besitze. Ihr habt mich in meine Schranken verwiesen. Es liegt an mir, mich zu entschuldigen. Bitte erhebt Euch. Es ist eines Gottes nicht würdig, vor einem Menschenkind die Haltung zu verlieren.“
Ihre Sätze trafen ihn stärker, als wenn sie ihn mit Verachtung gestraft hätte. Dieses arme Ding, dem man so viel angetan hat, bittet um Verzeihung dafür, dass sie durch eine üble Vergewaltigung ihre Jungfernschaft verloren hat, durchzuckte es ihn, mein Gott, wie konnte ich nur in dieser offenen Wunde herumrühren?
Nachdem Victor den Anflug von Schuldbewusstsein überwunden hatte, sprang er auf die Füße und fragte: „Wollen wir einander vergeben und nie mehr an den Tag unseres Kennenlernens denken? Hier und heute von vorn anfangen?“
„Ja“, antwortete Isabella schlicht.
Dem Grafensohn fiel ein Stein vom Herzen. Freudig trat er auf sie zu, absolvierte eine Verbeugung und hub zu sprechen an: „Gestattet, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Victor von Grimmshagen, Sohn des Grafen Alois Kaspar Alfons von Grimmshagen, der den Tod Eurer Mutter verschuldete. Ich kann nachvollziehen, falls Ihr Euch von mir abwendet, verstehe den Vergeltungswunsch an ihm und den Seinen. Rache gehört zum Menschen wie Hunger und Durst. Doch glaubt mir, dass ich weder in die Pläne meines Vaters eingeweiht war noch mich an der Hatz beteiligt habe. Ich schwöre es auf die Bibel.“
Unwillkürlich trat Isabella zurück. Durch ihren Kopf schwirrten die eben vernommenen Worte wie Ungeziefer. Er ist kein Gott, nicht Balder, sondern Sohn des Mörders, Mördersohn. „Verschwinde, Mordbube.“
Sie hielt die Hände vors Gesicht, mochte den Menschen, der von dem Scheusal abstammte, nicht ansehen, fürchtete, seiner Schönheit kaum widerstehen zu können. Durch ihre Sehnsucht nach ihm, Verrat an der Mutter zu begehen.
„Ich kann nichts dafür“, hörte sie sein Flehen an ihrem Ohr, lief davon, sich in ihrer Höhle vor ihm zu verbarrikadieren. Satan vermag jede Gestalt anzunehmen, schoss es ihr durch den Sinn.
„Er kann nichts dafür, Isabella“, schnarrte es aus dem Gebüsch.
„Pavor. Mein Liebling. Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?“, rief das Mädchen und verharrte auf der Stelle.
Statt einer Antwort wiederholte der Rabe: „Er kann nichts dafür, Isabella“, flog auf ihre Schulter, beschnäbelte sie.
„Ihr habt es vernommen. Pavor verteidigt mich“, sagte Victor, „und der lügt nicht.“
„Nein, Pavor lügt nie“, bestätigte sie verwirrt und kraulte das Gefieder des Vogels. „Aber woher kennt ihr seinen Namen?“, forschte sie argwöhnisch.
„Ihr habt ihn selbst so genannt.“
„Stimmt.“ Isabella lachte. Mutters bester Freund vertrieb ihre Zweifel an Victors lauteren Absichten. Womöglich hat ihr Geist ihn geschickt, um mich vor einer weiteren Torheit zu bewahren, dachte sie. Unbeirrt glaubte das Mädchen daran, dass Verstorbene sich durch ein Medium, gleich welcher Art, Verbindung zu den
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