Die Heilerin des Kaisers
Steinwürfe und ein Pfeilhagel überzeugten ihn jedoch schnell davon, dass es sich um einen ernst gemeinten Widerstand gegen die Herren handelte, die jenseits der Alpen residierten.
Es dauerte geraume Zeit, ehe die in allen Stadtteilen verstreuten deutschen Krieger sich sammelten und sich eine Gasse durch die aufgebrachte Menge zur Pfalz bahnen konnten, um zur Deckung des Königs Aufstellung zu nehmen.
Ihr martialischer Aufmarsch erbitterte die Bewohner von Pavia noch mehr, weil sie mit einem leichten Sieg über die deutschen Eindringlinge gerechnet hatten. Die schnell hereinbrechende, stockfinstere Nacht machte für beide Seiten die Lage umso prekärer.
Endlich gelang es Heinrichs Anhängern, auch das Lager der Deutschen außerhalb der Stadt zu alarmieren, wo die einfachen Dienstmannen des Königs untergebracht waren. Es kam zu blutigen Kämpfen in der Stadt, Mann gegen Mann, wobei Herr Giselbert, der sich unversehens einer Übermacht von vier bewaffneten Angreifern gegenübersah, sein hoffnungsvolles, junges Leben verlor.
Aber rasch erholten sich die Krieger Heinrichs von diesem Schock und ertränkten nun den Aufstand Pavias in einem Meer von Blut. Fränkische, baierische, schwäbische und lothringische Kämpen kletterten über die unbewachten Mauern, öffneten gewaltsam die Stadttore und drangen in die einzelnen Stadtviertel ein. Ein allgemeiner, grauenhafter Straßenkampf entspann sich.
Griseldis und die Benediktinermönche Berchtold und Odo hatten sich zu Beginn in eine dunkle Ecke der festlich geschmückten Halle verzogen und lauschten nun mit Entsetzen dem Höllenlärm des Gefechts, der von draußen hereindrang.
Bald sollten brennende Paläste und Kirchen das blutige Geschehen noch schauerlicher gestalten. Die aufständische Bevölkerung wurde in ihre Häuser zurückgedrängt. Als aus den Fenstern und von den Dächern herunter der Kampf der Pavesen mit Steinen und Pfeilen fortgesetzt wurde, schleuderten die erbitterten Deutschen Feuerbrände in die Wohnungen der Bürger. Um nicht den Flammen zum Opfer zu fallen, flüchteten die Einwohner erneut auf die Straßen und stürzten sich wütend auf die Gegner.
Die grausame Schlacht dauerte so lange an, bis der zutiefst erschütterte König den Befehl zur Einstellung von Kampfhandlung und Plünderung gab. Die taghell durch die brennenden Häuser erleuchteten Straßen waren übersät mit Verwundeten und Leichen.
Mit seinen Getreuen verließ Heinrich die Stadt der Verräter noch in derselben Nacht und begab sich in das nahe gelegene Kloster Sankt Peter. Ein Knecht hatte die vor Entsetzen wie gelähmte Griseldis vor sich auf sein Pferd nehmen müssen. Alleine hätte sie nicht vermocht aufzusteigen…
Der Anblick zerstückelter, verbrannter und aufgeschlitzter Körper, darunter von Kindern und Schwangeren, denen man die Ungeborenen aus dem Leib gerissen hatte, verursachte ihr nicht nur Übelkeit. Er hatte bei der Heilerin, die solche Untaten noch niemals gesehen hatte, einen Weinkrampf ausgelöst, den später erst Vater Berchtold im Schutz des Klosters zum Stillstand bringen konnte – unter den Augen der verwundert dreinblickenden Klosterbrüder, für die ein verzweifelt schluchzender deutscher Krieger eine mehr als seltsame Erscheinung war.
»Die Unsrigen kämpften wie die Löwen«, schrieb Vater Odo für die Nachwelt nieder. »Denn sie waren von großer Wut erfüllt ob des hinterhältigen Verrats der Bewohner von Pavia. Gefangene wurden nicht gemacht«, hielt er lapidar fest, ehe er noch hinzufügte: »Ein Großteil der schönen Stadt ging in Flammen auf.«
Zähneknirschend gestanden die Pavesen am anderen Morgen ihre Niederlage ein. Bereits im Morgengrauen erschien im Kloster eine Abordnung und bat den König für die Stadt um Gnade, welche Herr Heinrich ohne Zögern gewährte.
»Es ist freilicht nicht schwer zu verzeihen, Herr, wenn die Vergeltung die Schuld bereits weit übertroffen hat«, äußerte dazu Adalbold von Utrecht, der über das Ausmaß des Massakers und die deutsche Beteiligung daran entsetzt war.
In der Tat hatten die Deutschen wie in einem Blutrausch alles niedergemacht, was ihnen vor Schwerter und Streitäxte gekommen war. Egal ob Mann, Weib oder Kind. Als Griseldis zusammen mit anderen Ärzten bei Tagesanbruch daranging, die Verletzten zu versorgen – die meisten hatten tiefe Stichwunden von Schwertern und Dolchen oder zertrümmerte Knochen von Äxten und Kriegsflegeln davongetragen –, kam ihr das ganze Ausmaß der Gräuel erst recht
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