Die Heilerin des Sultans
Hengst
und streichelte ihn zwischen den Ohren. Dieser schien alle
Übellaunigkeit vergessen zu haben und rieb den Kopf an Falks
Schulter, als ob er sich nicht vor Kurzem noch gebärdet hätte
wie ein Wildfang. »Woher soll ich wissen, dass du die Wahrheit
sagst?«, fragte der Mann misstrauisch und Falk schoss
angriffslustig zurück: »Denkst du vielleicht, ich würde
ihn sonst einfach so herumführen?« Das leuchtete dem
Burschen ein und er brummte etwas Unverständliches. Da von ihm
kein weiterer Widerstand zu drohen schien, fragte Falk versöhnlich:
»Wo finde ich seine Box?« »Die zeige ich dir!« Ein zweiter Mann
betrat den Stall durch das Tor und beäugte Falk kritisch. Der
weich fallende Stoff seines Kaftans und die stolze Haltung ließen
Falk vermuten, dass es sich bei ihm um den Stallmeister handelte –
eine Annahme, die durch die silberne Stickerei auf seiner Brust
bestätigt wurde. Auch wiesen weder seine Hände noch seine
hellbraunen Lederstiefel nur den kleinsten Schmutzfleck auf. »Ich
weiß, was geschehen ist«, sagte er und verscheuchte den
Dunkelhäutigen mit einer Handbewegung. »Es ist eine große
Ehre, sich um das Pferd des Sultans kümmern zu dürfen.
Erweise dich würdig und deine Zukunft ist golden.« Dieses
Versprechen trieb Falk zum zweiten Mal an diesem Tag die Hitze in die
Wangen. »Komm mit mir. Ich zeige dir, wo die Sättel und
das Zaumzeug aufbewahrt werden und wo du in Zukunft schlafen wirst.«
Als Falk verdutzt den Mund öffnete, fuhr er fort. »Sobald
du das Tier versorgt hast, wirst du deine Sachen aus dem
Rekrutenquartier holen. Ab heute gehörst du zu den Sipahi – der Kavallerie des
Sultans.« Falks Puls machte einen unerwarteten Satz und er
unterdrückte ein Keuchen. Sollte Gott ihm endlich ein Zeichen
gesandt haben?
Wie
im Rausch folgte er dem Stallmeister in den hinteren Teil des
Gebäudes, wo eine geräumige Box auf den Hengst wartete.
Frisches Stroh bedeckte den Boden und die Futterkrippe war bis zum
Bersten gefüllt. »Deine einzige Aufgabe ist es, dich um
ihn zu kümmern. Du fütterst und tränkst ihn, pflegst
Fell und Hufe und sorgst dafür, dass er genug Auslauf hat.«
Falk sah den Älteren ungläubig an und dieser lachte. »Du
hast dem Sultan das Leben gerettet und bist dafür belohnt
worden. Viele der Sipahi -Burschen
werden dich beneiden.« Er hob den Zeigefinger. »Solltest
du deine Aufgabe nicht mit größter Sorgfalt erfüllen,
wirst du dafür bestraft.« Das Vollblut schnaubte Falk ins
Ohr und gab ihm mit einem ungeduldigen Stampfen zu verstehen, dass es
sich langweilte. »Wo kann ich ihn reiten?«, fragte Falk
heiser und griff nach einem Büschel Stroh, um das glänzende
Fell abzureiben, während der Hengst durstig die Nase in einem
Tränkeimer vergrub. »Es gibt ein paar Koppeln vor der
Stadt«, erklärte der Stallmeister. »Aber ein Tier
wie dieses muss täglich mindestens zwei Stunden bewegt werden.
Du kannst die ersten Male einen der Stallburschen mitnehmen. Sobald
du die Umgebung gut genug kennst, kannst du ihn alleine reiten.«
Falk wagte kaum zu atmen. Meinte der Mann ernst, was er eben gesagt
hatte? Er konnte mutterseelenallein mit einem Pferd, das mehr wert
war als die Hälfte seiner Zucht in Ulm, den Palast verlassen?
Die Geschichte, die Hans erzählt hatte, fiel ihm wieder ein und
er ernüchterte. Vermutlich war es leichter gedacht als getan,
den Klauen des Sultans zu entkommen. Und dennoch war die Flucht, die
er so lange für unmöglich gehalten hatte, in greifbare Nähe
gerückt.
Kapitel 69
Burg
Katzenstein, Frühjahr 1401
Obwohl ihm
ein gewaltiger Kloß im Hals steckte, gab Otto schließlich
nach und stimmte Helwigs Vorschlag zu. »Glaube mir, es ist
besser, wenn du so weit wie möglich entfernt bist, wenn dieser
Lutz Metzler das Zeitliche segnet«, erklärte Helwig mit
Nachdruck. »Dann kann kein Verdacht auf dich fallen, egal mit
wem er in der Zwischenzeit geredet hat.« Das Argument leuchtete
Otto ein, und dennoch widerstrebte es ihm, seine schwangere Gemahlin
alleine nach Ulm reisen zu lassen. Schulter an Schulter standen sie
auf dem Wehrgang und blickten auf die Felder hinab, wo Ottos Bauern
die im Herbst gepflügten Felder mit Eggen zur Aussaat
vorbereiteten. Der Morgen des ungewöhnlich milden Märztages
war klar, und das Vogelgezwitscher verriet, dass der Winter in diesem
Jahr vermutlich nicht noch einmal zurückkehren würde. An
manchen Stellen sprossen schon Märzenbecher, Anemonen und
Schneeglöckchen, und einige
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