Die Heilerin - Roman
eine Träne vergießen.
Sie legte den Kopf schief, dann schossen ihre Finger empor, und sie wischte die Tränen fort. Ich aber konnte sogar in dem trüben Licht noch erkennen, dass sie geweint hatte.
»Du wirst nicht glauben, was passiert ist!«, sprudelte Lanelle hervor. Kione oder die Schritte einer anderen Person hatte ich nicht gehört. War sie allein ? Mein Hals lieferte mir überzeugende Argumente, mich nicht umzudrehen, um mich zu vergewissern. »Ältester Nostomo hat Sersin gefesselt in Behandlungsraum drei gefunden. Ist das zu glauben? Die Wachen sind überall. Das ganze Gebäude wurde abgeriegelt!«
Ich bewegte den Kopf ein wenig, und eine neue Woge des Schmerzes brach über mich herein. Ich tat einige meinen Bauch beruhigende Atemzüge und betete, dass Tali genug Zeit blieb zu entkommen.
»War sie verletzt?«, fragte Tali. Goldig, ihre Sorge, aber nun war nicht der richtige Zeitpunkt, sich den Kopf über Leute zu zerbrechen, die sie tot sehen wollten. Sie war heute keine Heilerin, zumindest nicht, bis sie die Gilde verlassen hatte und bei Danello eingetroffen war.
»Ich weiß es nicht. Sie ist noch bewusstlos. Aber ich habe gehört, man hätte Blut auf dem Boden gefunden.«
Blut? Wie konnte ich Blut übersehen haben? Hastige Hände schaffen nichts Gutes, wie Großmama zu sagen pflegte. Tali musste verschwinden. Sofort.
»Warum sollte irgendjemand Sersin angreifen?« Lanelle kam in mein Blickfeld und hielt ruckartig inne. Röte zog sich über ihre Wangen. »Was ist passiert? Ist sie aus dem Bett gefallen?« Das klang beinahe wie echte Besorgnis.
»Äh, sie hatte einen Anfall.«
»Wirklich? Das ist ein neues Symptom, aber es steht nicht auf der Beobachtungsliste. Ältester Vinnot sagt, wir würden, wenn wir sie beobachten, genug über diesen Schmerz lernen, um eine völlig neue Behandlungsmethode zu entwickeln, vielleicht sogar eine, bei der gar kein Pynvium benötigt wird! Er stellt spezielle Nachforschungen für den Herzog persönlich an, und ich darf dabei helfen. Ich habe alles in meinem Notizbuch festgehalten. Wie lange hat der Anfall gedauert ?«
»Ich, äh ...«
Als spontane Lügnerin hatte Tali noch nie viel getaugt. Als sie ein Kind war und eine Vase zerbrochen hatte, hatte sie behauptet, die Krokodile wären es gewesen. Hatte sie ihre Hausaufgaben vergessen, hatte der Wind sie zum Fenster hinausgeweht.
»Oohh.« Ich fing an zu zucken und zu stöhnen, würgte sogar ein bisschen Speichel hervor. Dieses Mal musste ich nicht viel vortäuschen.
Lanelle verzog das Gesicht, und ein Ausdruck der Scham huschte über ihre rosaroten Wangen. »Was habe ich mir nur dabei gedacht. Wir sollten sie zuerst zurück ins Bett schaffen.«
»Wird wohl das Beste sein.«
Sie ging in die Knie, streckte die Hand nach mir aus und hielt inne. Falten gruben sich in ihre Stirn. »Das ist doch ...«
»Nimm du ihre Schultern«, sagte Tali hastig und stupste Lanelle vorwärts, sodass sie mir nicht mehr ins Gesicht starren konnte. »Ich nehme ihre Beine.«
Ich brachte einen Seufzer in meinem nächsten Stöhnen unter. Sie mochte eine schlechte Lügnerin sein, aber sie konnte schnell reagieren, wenn es nötig war.
Lanelle hob mich vorsichtig an, achtete darauf, an keiner Stelle zu viel Druck auf meinen Körper auszuüben. Sie ging pfleglicher mit mir um, als ich es erwartet hatte; andererseits hatte sie es nun schon tagelang mit schmerzgepeinigten Lehrlingen zu tun. Ich wette, sie behandelte sie so sorgsam, damit sie nicht schrien und ihr Kopfschmerzen bereiteten.
Sie legten mich auf die Pritsche. Meine Haut brannte, als Tali die Decke über mich zog. Ich schluckte meinen Schrei hinunter, konnte aber nichts gegen das Zittern tun.
Heilige, macht, dass sie es nicht merkt. Tali musste sich jetzt zusammenreißen. Sie konnte es sich nicht leisten, sich meinetwegen Sorgen zu machen. Wieder sammelte ich den Schmerz und verdrängte ihn, soweit ich nur konnte.
»Soll ich, äh, noch bleiben?«, fragte Tali. »Ich könnte dir noch eine Weile helfen.«
Vielleicht war ich mit der Anerkennung für ihre rasche Auffassungsgabe doch etwas voreilig gewesen. Ich versuchte, den Befehl Tali, geh! mittels eines bösen Blickes in ihr Hirn zu brennen, aber sie sah mich gar nicht an. Lanelle stand an meiner Schulter und musterte Tali mit der gleichen seltsamen Miene, mit der sie mich zuvor angeblickt hatte. Wir sahen uns bemerkenswert ähnlich, und in dem trüben Licht mochten wir durchaus als Zwillinge durchgehen, aber mein Bauch sagte
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