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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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seine Augen ausdehnen.«
    »Ich weiß, dass man von Blattern blind werden kann«, ergänzte Frau Blomenrot erschrocken. »Ich wusste nur nicht, dass es dagegen Rat gibt. Und wir können Hermens Vater doch nicht einen Sohn zurückschicken, der in unserem Haus zum blinden Lehrling geworden ist, statt ein für die Brauerei gut gerüsteter Geselle … Davor bewahre uns alle der Herr!«
    »Ja«, sagte Taleke erleichtert. Die Blomenrots waren gottlob milde Lehrherren. Oder sie wollten es sich mit der Ritterschaft nicht verderben. Wie dem auch sei, Hermen war bei ihnen in besten Händen. »Ich habe noch eine Bitte: Könntet Ihr wohl herausfinden, welche Botengänge Hermen in den letzten Tagen gemacht hat? Irgendwo muss es nämlich noch mehr Blatternkranke geben, fürchte ich.«
    Frau Blomenrot schlug die Hände zusammen. »Gott bewahre!«
    »In zwei Tagen besuche ich Hermen wieder«, sagte Taleke und ging.
     
    Es war schon fast ein seltsames Zusammentreffen, dass Taleke den braunhäutigen Freund von Nicolaus noch am gleichen sowie am nächsten Tag erneut in der Menschenmenge auf dem Marktplatz entdeckte, jedes Mal mit einem anderen jungen Mann. Einen von ihnen erkannte sie jetzt wieder, auch er hatte zu den Freunden von Nicolaus gehört. Reiche Jünglinge, die sich die Zeit um die Ohren schlugen, statt bei ihren Vätern in den Kaufmannskontoren zu lernen. »Pfft«, machte sie schnippisch und wandte sich den Butterbuden zu. Sie konnte sich inzwischen Butter leisten.
    »Was heißt denn ›pfft‹ genau?«, fragte eine Stimme an ihrem Ohr. »Ich habe das von Euch schon einmal gehört. Nachdem wir in Lübeck angelegt hatten.«
    Taleke fuhr herum. »Schiffer Volrad Wittenborch«, stammelte sie beim Anblick des hochgewachsenen, bärtigen Seemanns, der sich schmunzelnd zu ihr hinunterbeugte.
    »Ihr erinnert Euch an mich?«
    »Wie könnte ich nicht? Lasst Euch anschauen.« Er fasste sie an beiden Schultern und schob sie so hin, dass er sie im Sonnenlicht betrachten konnte. Er runzelte die Stirn und schüttelte verwundert den Kopf. »Ihr wirkt so anders als damals. Ihr seid nicht mehr die weggelaufene Tagelöhnerinnentochter. Ich wage nicht, Euch wie die Magd von damals mit du anzusprechen.«
    »Ich bin eine andere«, gab Taleke verschämt zu. »Es verschlug mich nach Paris, wo ich bei einer Hebamme und bei einem Chirurgus deren Handwerk gelernt habe, ich habe aus Schriften von lateinischen und sarazenischen Ärzten Kenntnisse geschöpft und betätige mich hier als Heilerin.«
    »So seid Ihr die Heilerin von Paris?«
    »Das bin ich wohl.«
    »Das freut mich unendlich für Euch«, sagte Wittenborch. »Und was bedeutete nun das ›pfft‹?«
    Taleke sah ihn prüfend an. »Ich will Euch nicht beleidigen. Ich habe Euch mit Nicolaus zusammen gesehen, kurz bevor wir nach Paris abreisten. Diese jungen Männer auf dem Platz, die auch zu Nicolaus’ Freunden zählen, schlagen die Zeit tot, statt etwas Sinnvolles zu machen. Man könnte gut auf sie verzichten, und das bedeutet in diesem Fall ›pfft‹. Vermutlich würden mir da sogar einige Väter zustimmen.«
    »Ihr beleidigt mich nicht. Ich bin zwar mit Nicolaus seit Kindesbeinen befreundet, aber ich bin nicht der Freund seiner Freunde.«
    »Tatsächlich?« Aus irgendeinem Grund war Taleke erleichtert, dies zu hören.
    »Ja. Nicolaus und ich waren zusammen in der Lateinschule.«
    »Er kann doch kaum lesen«, wandte Taleke spontan ein.
    »Das wisst Ihr?«
    Taleke nickte. »Ich habe in Paris lesen und schreiben gelernt und ihm anschließend alles vorlesen müssen, was er für seine Lehre benötigte.«
    Volrad lächelte. »So ähnlich ging es auch mir. Ich habe mit ihm geübt, und er hat auswendig gelernt. Sein Gedächtnis ist blendend.«
    »Deshalb beherrscht er Latein so gut …«, warf Taleke ein, die sich immer darüber gewundert hatte, dass er eine fremde Sprache im Kopf hatte, ohne richtig lesen zu können.
    »Stimmt. Glaubt aber nicht, dass die Hilfeleistung einseitig war. Er hat mich zum Dank vor den Schülern gerettet, die mich verprügeln wollten, weil mein Vater weder reich noch adelig ist.«
    »Ähnliches habe ich erlebt. Er gab vor, mich vor den Scholaren der Studienhäuser zu schützen, aber es war Eifersucht«, stellte Taleke nachdenklich fest. »Später, als ich herausgefunden hatte, dass Heilen meine Berufung ist, und mich mit Büchern befasste, die nur mich selber interessierten, konnte ich nicht mehr jeder seiner Eingebungen folgen. Und wenn ich nicht tat, was er wollte,

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