Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
Vom Netzwerk:
viele Seiten ihrer selbst. Sie überlegte, ob sie sich wohl jemals in der Gesellschaft von jemandem wiederfinden würde, der die ganze Feyra kennenlernen wollte.

28
    Feyra versuchte, sich nicht in Sicherheit zu wiegen.
    Sie hatte sich daheim in Konstantinopel sicher gefühlt und war von allem fortgeschickt worden, was sie je gekannt hatte. Dann hatte sie sich in Palladios Haus sicher gefühlt, bevor sie zur Flucht gezwungen worden war. Diese Insel war der letzte Ort, von dem sie erwartet hätte, sich hier zu Hause zu fühlen, dennoch tat sie das in gewisser Weise. Sie hatte ihr Haus, ihre Arbeit und ihren Vogelmann.
    Das Verhalten der Nonnen ihr gegenüber war von Duldung über Höflichkeit zu Freundlichkeit übergegangen. Die Badessa hatte sogar über ihre Kindheit in Otranto gesprochen. Der Name dieser italienischen Küstenstadt war Feyra wohlbekannt. Alle Türken kannten ihn, weil die Osmanen Otranto belagert und dann sämtliche Einwohner abgeschlachtet hatten. Keine der beiden Frauen erwähnte dieses Massaker während des Gesprächs. Als es stattgefunden hatte, war die Badessa noch gar nicht geboren gewesen, aber als Feyra zum Tezon zurückkehrte, konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die ältere Frau versucht hatte, sich für irgendetwas zu entschuldigen.
    Der Zwerg Salve war ebenfalls ein guter Freund geworden. Der stille, sensible Junge besuchte sie manchmal abends und ließ eine Klugheit erkennen, die sein begrenztes Sprachvermögen Lügen strafte. Sie versuchte, ihm allmählich beizubringen, das auszudrücken, was er sagen wollte. Einige Dinge, die er äußerte, versetzten ihr einen Stich. Sie hatte sich anfangs angewöhnt, mit ihm wie mit einem Kind zu sprechen, aber er war kein Kind. Sie mochte ihn, lieber als seinen Vater Bocca, der sie manchmal auf eine Weise ansah, die ihr nicht gefiel. Sie wusste, dass der Torhüter sehr fromm war, und sie fragte sich, ob er ihren Glauben ablehnte, obwohl die Nonnen ihn tolerierten.
    Manchmal dachte Feyra an die Besatzung der Il Cavaliere und an ihren Helden Takat Turan. Er dürfte inzwischen an der Pest gestorben sein, dachte sie und trauerte um den tapferen Mann. Aber mittlerweile schienen sie alle, sogar ihr Vater, einem anderen Leben anzugehören. Sie waren so körperlos wie Geister oder die Silhouetten des Karagöz -Schattentheaters, das sie in Beyoglu besucht hatte. Sie hortete noch immer jede Woche ihre Zechinen in ihrem gelben Pantoffel, aber sie dachte immer seltener an Konstantinopel. Und während sie an dem anschwellenden Bauch von Valentina Trianni, der jungen, schwangeren Frau ablas, wie die Monate verstrichen, wurden die Menschen von Lazzaretto Nuovo zu ihrem Leben.
    Vor allem einer.
    Mit dem Vogelmann lag sie ständig im Krieg, er war der Dorn in ihrem Fleisch und die Fliege in ihrer Suppe. Aber die Diskussionen mit ihm und der Kampf um die Herrschaft über das Tezon, der inmitten all der Toten und Sterbenden zwischen ihnen tobte, bewirkte paradoxerweise, dass sie sich lebendiger fühlte als je zuvor. Sie belagerten dieses Krankenhaus. Sie war Saladin, er Richard Löwenherz, und das Tezon war ihre Heilige Stadt. Weder Osten noch Westen trugen auf Dauer einen Sieg davon, und die Vorherrschaft wechselte fast täglich. Es war eine konstante Pattsituation.
    Feyra hatte sich mit dem Vogelmann monatelang über seine Methoden gestritten. Sie wusste, dass in Padua großer Wert auf Chirurgie gelegt wurde und die Kräuterkunde in den Hintergrund trat, aber sie begriff nicht, wie sein ständiger Aderlass den Patienten helfen sollte. Und er verstand nicht, dass der Briefwechsel zwischen den Armenhäusern und dem Tezon oder das Singen eines Kinderliedes die Lebensgeister der Kranken hob. Feyra sagte ihm nicht, woher sie mit Sicherheit wusste, dass das Aufschneiden der Pestbeulen nicht half. Sie hatte es als letzte Möglichkeit eingesetzt, um ihren Vater zu retten, und es hatte keine Wirkung gezeigt. Sie wusste, dass die medizinische Philosophie des Vogelmanns auf den Lehren des griechischen Heiden Galenos aufbaute, die ihrer Meinung nach nicht Bestand haben würden. Sie hatte versucht, den Arzt darauf hinzuweisen, dass die Sterblichkeitsrate unter denen, die er operierte, weit höher war als bei denen, die er in Ruhe ließ, aber er wollte nicht hören.
    Er gab zu bedenken, dass es eine Frage des Gleichgewichts war, dass die Drainagen und der Aderlass die natürliche Ausgewogenheit der Körpersäfte wieder herstellen würden. Das war für sie vertrauter

Weitere Kostenlose Bücher