Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
hinter ihrem Schleier.
»Was willst du? Was ist passiert?«, erkundigte er sich, und da wusste sie, dass sie ihren Vogelmann vor sich hatte: grob, schroff und kurz angebunden.
»Valentina Trianni«, erwiderte sie. »Sie liegt in den Wehen, aber das Kind will nicht kommen.«
Ohne ein weiteres Wort griff er nach seinem Umhang und seiner Maske.
Feyra beobachtete ihn, als er Valentina untersuchte und sich mit seinem Schnabel über das Mädchen beugte, als wäre es seine Beute. Aber Feyra sah die Maske nicht mehr, nur noch sein unvergessliches Gesicht, das sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte. Sie wusste, was er gleich sagen würde.
»Das Kind muss herausgeschnitten werden.«
Sie hatte recht gehabt. Aber sie gestand sich auch ein, dass sie ihn aus ebendiesem Grund geholt hatte. »Bindusara«, entfuhr es ihr unwillkürlich.
»Kaiser von Indien, aus dem Leib seiner Mutter geschnitten«, fügte der Vogelmann hinzu, und ihre Blicke trafen sich über Valentinas sich hebenden und senkenden Bauch hinweg. »Und der heilige Raimund Nonnatus – dieser Prozedur verdankt er seinen Namen. Und in beiden Fällen …« Er brach abrupt ab. Wieder wusste sie, was er nicht aussprechen wollte.
In beiden Fällen hatte die Mutter nicht überlebt.
Aber sie hatten keine andere Wahl. Das Trianni-Baby befand sich in der Steißlage und konnte nicht gedreht werden. Es stand zu befürchten, dass Valentina starb, aber das würde sie ohnehin, wenn sie nichts unternahmen, und das Baby ebenfalls. Annibale herrschte die Mutter an, den Raum zu verlassen, aber sie weigerte sich, ihrer Tochter von der Seite zu weichen, bis Feyra ihr versicherte, dass sie sich um Valentina kümmern würde und sie ihre Tochter allein durch ihre Gegenwart bei der Operation gefährdete. Sowie die alte Frau hinausgegangen war, nahm der Vogelmann seine Maske ab.
Dieses eine Mal war Feyra froh, nur zu assistieren. Sie gab Valentina so viel Mohnsaft, wie sie es wagte, aber das arme Mädchen litt solche Qualen, dass es nicht stillhalten konnte, um den Trank zu schlucken, und das schwarze Gebräu über ihre Wangen rann. Feyra säuberte den geschwollenen Bauch mit Rosenwasser, das mit Minze und Borretsch versetzt war, und trat zurück, als der Vogelmann einen langen Schnitt oberhalb des Schambeins durchführte und dunkles Blut aus der bemerkenswert geraden Linie quoll. Das Baby wurde förmlich aus dem Körper seiner Mutter gespien. Als Feyra es hochhob, öffneten sich zwei kleine Augen, und ein Mund formte sich zu einem Schrei, als der Vogelmann die Nabelschnur durchtrennte. Feyra säuberte das Baby mit einem Leinentuch und schob einen Finger zwischen die winzigen Lippen, um den Mund zu reinigen, woraufhin es sofort zu saugen begann. Valentina hatte bei dem Schnitt das Bewusstsein verloren. Feyra legte das kleine Bündel neben den dunklen Kopf und fuhr mit ihrer Arbeit fort. Sie säuberte die Wunde und griff nach dem weingetränkten Faden, um sie zu nähen. Sie arbeitete so sorgfältig, wie es ihr im Licht der Kerze möglich war. Da ihr Palladio einfiel, stellte sie die Glasschale, die das Rosenwasser enthielt, vor die Kerzenflamme, sodass das Licht durch die provisorische Linse fiel. Sie machte eine Schlinge unter jeden Stich, wie Haji Musa es sie gelehrt hatte, und konnte dabei spüren, wie der Vogelmann sie beobachtete. Dann legte sie einen Breiumschlag aus Zinnober und Rosmarin auf die Wunde, um zu verhindern, dass sie sich entzündete, und zog die Decke behutsam über das Mädchen. Danach konnte sie nur noch warten.
Das Baby schlief neben dem Kopf seiner Mutter, als habe sein stürmischer Eintritt in diese Welt es erschöpft. Feyra rechnete damit, dass der Vogelmann gehen würde, aber er blieb und wachte mit ihr bei Valentina, sein Schatten gesellte sich zu ihrem an der Wand. Sie wusste, dass er nicht ihre Gesellschaft suchte, sondern leidenschaftslos auf den medizinischen Ausgang seiner Operation wartete. Und sie mussten nicht lange warten. Als die Glocke zur Matutin läutete, schlug Valentina die Augen auf, und als wären sie durch ein unsichtbares Band verbunden, erwachte auch das Baby.
Der Vogelmann und Feyra gingen in kameradschaftlichem Schweigen im Dunkeln über den Rasen zurück. Auf der anderen Seite der Lagune bildete die Morgendämmerung eine weiße Linie am Horizont, und das Frühjahrsgras unter ihren Füßen war taufeucht. Als sie am Tezon vorbeikamen, drehte sie sich im Dunkeln zu ihm um. Der Krankenhausbereich war der Turnierplatz,
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