Die Heilerin
Schritt zurück, entzog ihm die Hände. »Ist es hier nicht gut? Gehen unsere Träume und Wünsche hier nicht in Erfüllung?« Sie schluckte hart. »Ihr habt uns den Garten Eden versprochen, ein neues Leben, frei und ohne Restriktionen. Ein wunderbares Leben – finden wir das hier nicht? Nun sagt schon!«
Pastorius senkte den Kopf. »Mejuffer op den Graeff …« Er stockte.
»Mejuffer? Jetzt bin ich wieder Mejuffer statt Margret? Warum? Was habt Ihr uns verschwiegen Franz Daniel? Was ist hier so schrecklich, dass es Euch die Sprache verschlägt?« Ihre Stimme wurde laut, so laut, dass sich die Leute umdrehten.
»Ich bitte Euch«, sagte Pastorius eindringlich, »sprecht nicht so laut. Bitte.«
»Dann sprecht Ihr wenigstens und beantwortet meine Fragen. Oder habt Ihr dazu nicht den Mut?« Ihre Worte klangen kalt, sie sah ihn verächtlich an.
»Es geht nicht um Mut, Margret. Es geht um Realitäten. Um Tatsachen, die mir so vorher nicht bewusst waren.« Er schaute zu Boden, sammelte sich, sah sie dann an. Sein Blick wurde weich. »Dieses Land ist noch jungfräulich. Nein, so habe ich es mir nicht vorgestellt. Es ist ein reiches Land, ein Land voller Schätze. Aber es ist noch nicht kultiviert, und das zu tun bedeutet eine Menge Arbeit. Mehr Arbeit, als ich gedacht hatte.« Er zögerte. »Es ist, ohne Frage, zu schaffen.«
»Aber?« Margaretha musterte ihn.
»Aber es wird nicht leicht werden. Die Berichte, die dieFrankfurter Land Compagnie erhalten hat, waren Zukunftsvisionen. Kaum etwas davon ist bisher erreicht. Philadelphia ist keine Stadt – jedenfalls keine wie Frankfurt, Amsterdam, noch nicht einmal wie Krefeld. Es ist …« Er stockte, seufzte. »Es ist eher ein Dorf.«
»Aber das war doch zu erwarten.« Margaretha spürte die Erleichterung, doch auch immer noch Angst. »Was ist mit den Wilden? Was haben wir zu befürchten?«
»Die Indianer, die ich bisher getroffen habe – es waren nicht viele in den sechs Wochen, die ich nun hier bin, waren friedfertig. Ich glaube nicht, dass sie eine Bedrohung sind. Ihr Anblick ist natürlich erst einmal ungewöhnlich.«
»Wie sehen sie aus?«, fragte Margaretha gespannt, doch bevor Pastorius antworten konnte, trat Hermann zwischen sie.
»Margret, hier bist du. Ich habe dich schon gesucht. Mutter braucht Hilfe. Unsere Sachen müssen auf die Karren gepackt werden. Jemand muss dafür sorgen, dass unsere Dinge beieinanderbleiben – Mutter kann das nicht mehr, sie fühlt sich schwach.«
»Ihr ging es gerade doch noch ganz gut«, murmelte Margaretha besorgt und drehte sich um. Doch das Getümmel auf der Lichtung ließ nicht zu, dass sie in die Ecke, in der sie das Feuer entfacht hatten, sehen konnte. »Wo ist sie denn? Immer noch am Lagerplatz?«
»Nein, sie ist zu unseren Kisten gegangen, aber die vielen Dinge, die da durcheinander liegen, haben sie verwirrt. Ich habe sie dorthin gebracht, Catharina ist bei ihr. Wir brauchen deine Hilfe jetzt bei unseren Kisten.« Er seufzte. »Die Karren reichen nicht, wir werden mehrfach fahren müssen. Das bedeutet, dass einige Leute hier bleiben müssen, um auf die verbliebenen Sachen aufzupassen. Das gibt schon wieder Streit. Jeder möchte gleich in die Stadt.«
»Es gibt keine Stadt«, sagte sie leise. Ihr Bruder sah sie überrascht an.
»Nicht?«
»Nein«, sagte Pastorius bedrückt, der das Gespräch verfolgt hatte. »Es ist noch keine Stadt. Eher ein Dorf. Ein kleines Dorf. Es gibt bisher nur fünf Häuser aus Stein, die anderen sind Blockhütten – gebaut aus dicken Holzstämmen. Penn hat natürlich ein prachtvolles Haus, aber er hat auch genug Geld, um andere für sich arbeiten zu lassen.«
»Es gibt nur wenige Häuser?«, fragte Hermann verblüfft. Pastorius nickte und wich seinem Blick aus. »Wo werden wir dann unterkommen? Es ist schon Oktober, der Winter steht vor der Tür.«
»Es gibt eine große Scheune, die ich für Euch gesichert habe. Doch ihr müsst zusehen, dass ihr Euch, so schnell es geht, Unterkünfte baut.«
»Noch vor dem Winter?«, fragte Hermann entsetzt. »Ich dachte, den ersten Winter können wir in der Stadt verbringen und uns dann im Frühjahr ans Werk machen.«
»So hatte ich das auch verstanden, aber leider geht das nicht. Doch verzweifelt nicht, wir werden für alles Lösungen finden. Erst einmal müsst Ihr jedoch Eure Sachen nach Philadelphia bringen, und dann werden wir die anderen Dinge in Ruhe klären.«
»Euer Wort in Gottes Ohr«, murmelte Hermann und stapfte davon. Er war wütend,
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