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Die Heilerin

Die Heilerin

Titel: Die Heilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sich umschließen und hochnehmen. Kalt war Eva, eisig, fast steif.
    »Gottegot«, flüsterte Margaretha. »Wie lange bist du schon hier? Hast dich verlaufen, ja? Aber jetzt habe ich dich gefunden und bring dich nach Hause.« Sie schlug ihren Mantel um das Kind, drückte es an ihren Körper, lief um die Kirche herum bis zur Pforte. Der Wind hatte diese zugeschlagen, und für einen kleinen Moment wähnte sich Margaretha gefangen, doch dann zog sie die Tür auf, schritt auf die Gasse.
    Die Wolken brachen auf, statt sanften Schnees fiel eisiger Regen. Wie Peitschenhiebe drosch er, gefror auf der kalten Straße, verwandelte sie in eine Eisbahn.
    »Dirck? Dirck!«, rief Margaretha entsetzt. Die Wassertropfen wurden zu Hagelkörnern, schlugen unbarmherzig zu, durch den Mantel hindurch bis auf die Haut.
    »Ich bin hier. Margret, hier bin ich.« Durch die Regenwand hindurch, durch den Schauer aus Eiskristallen bahnte sich ihr Bruder den Weg, erreichte und umfasste sie. »Hast du Eva gefunden?«
    Margaretha nickte nur.
    »Komm, komm. Schnell, schnell, wir müssen Schutz suchen, zu Hause …«
    Die beiden rannten los. Immer heftiger fiel der Eisregen,verwandelte die Gassen in Rutschbahnen, schlug gegen ihre Mäntel und durchdrang sie. Keuchend kamen sie vor dem Haus der Familie zu stehen. Dirck schlug gegen die Tür, das Pochen schien durch die Straße zu hallen. »Macht auf! Macht auf«, rief er außer Atem. Jemand öffnete die Tür, und sie stürzten in die Diele.
    »Eva!« Fast gellend klang der Ruf der Mutter durch das Haus. Sie nahm das Kind aus Margarethas Armen, lief zur Küche.
    »Heißes Wasser brauchen wir! Sofort. Und zündet Kerzen an!«
    Dirck folgte der Mutter, aber Margaretha blieb nach Luft ringend an der Tür stehen. Sie war froh, zuhause zu sein, Eva lebend hierher gebracht zu haben, aber alles Weitere überforderte sie. Langsam ging sie den Flur entlang, stellte sich an die Tür zur Wohnküche. Der Kamin prasselte, im Topf über dem Herd köchelte aromatisch das Essen, Wachholder- und Rosmarinzweige verströmten ihren Duft. Der Hauskater strich schnurrend um Margarethas Knöchel, doch sie schaffte es nicht, sich zu bücken und ihn zu streicheln.
    Wie gelähmt sah sie zu dem Schemel vor der Herdstelle, auf den Gretje Eva gesetzt hatte. Die ganze Familie hatte sich versammelt und starrte das Kind an. Eva saß dort mit gesenktem Haupt, wimmerte. Der Kopf war ihr geschoren worden, die blanke Kopfhaut blitzte im Schein des Herdfeuers. Sie trug weder Mantel noch Stiefel, nur das bloße Unterkleid, und dies war blutbefleckt.
    »Gottegot!«, sagte Gretje tonlos. »Eva …«
    Die Männer zogen sich zurück, nur das eine oder andere verzweifelte Stöhnen war zu hören. Margaretha ging langsam in die Küche.
    »Sie war auf dem Friedhof der Kirche. Alleine. Ich weiß nicht, was passiert ist …«
    »Immerhin hast du sie gefunden. Eva, Herzchen, tut dir etwas weh?«
    Doch auch auf die sanfte Ansprache, die Berührungen und Zärtlichkeiten der Mutter reagierte das Kind nicht. Sie schaukelte in einem eigenen Rhythmus hin und her, wimmerte leise, ließ alles mit sich machen, ohne darauf anzusprechen.
    »Sie ist völlig unterkühlt. Abraham, hole die Bütt.«
    Gretje zog dem Kind das Kleid aus, Margaretha sah die blauen Flecke an Oberarmen und Schenkeln der Schwester, kniff entsetzt die Augen zusammen.
    »Nun, nun. Ich bin ganz vorsichtig, ja?« Gretje hob das Kind hoch, stellte es in den Bottich. »Margret, gieß langsam warmes Wasser hinein. Hermann, hol mir eine weiche Decke, in die wir sie hüllen können.« Gretje hielt das Kind fest, das immer noch nicht reagierte. »Gieß, bis das Wasser ihre Waden bedeckt. Nicht höher. Es darf nicht zu heiß sein, wir müssen sie langsam erwärmen.«
    Immer wieder fühlte Gretje in Evas Nacken, an ihren Armen. Langsam erhöhte sich die Körpertemperatur des Kindes.
    »Jetzt gieß mehr Wasser hinzu. Bis zu ihren Oberschenkeln.«
    Das Entsetzen stand in den mandelförmigen Augen des kleinen Kindes, das bisher dem Leben mit purer Freude entgegengetreten war. Gretje flößte ihr Brühe ein, prüfte wieder die Körpertemperatur. Sie nahm die Decke beiseite, die sie um den Oberkörper des Kindes gehüllt hatte.
    »Jetzt gieß vorsichtig warmes Wasser über ihre Arme und den Bauch, Margret. Ich halte sie.«
    Eva ließ alles geduldig über sich ergehen. Weder Protest noch Zustimmung drangen aus ihrer Kehle. Aber sie sah die Mutter nicht an, antwortete auf keine Frage, blieb stocksteif und

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