Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
etwas schüchtern. Sie machte immer einen melancholischen Eindruck, als ob sie etwas bedrücken würde. Bestimmt lag es am strengen Klosterleben; denn selbst Agnes, die sich schon vor viel längerer Zeit zu diesem enthaltsamen Lebensweg entschlossen hatte, litt unter dem harten Regiment der Äbtissin. Agnes hatte Adelheid leider nur kurz kennengelernt. Eines Tages war sie verschwunden. Es hieß lediglich, sie wäre in ein anderes Kloster geschickt worden, aber niemand konnte sagen in welches. Aus Angst, wieder Ärger zu bekommen, hatte Agnes auch nicht weiter nachgefragt.
»Wo ist deine Schwester denn hin?«
»Keine Ahnung. Die Äbtissin sagte meinen Eltern, dass Adelheid in einem Jahr wieder zurückkommt. Aber ...« Simon stockte. Traurig fügte er hinzu: »Sie fehlt mir so doll.«
»In welches Kloster ist sie denn gegangen?«
Er zuckte lediglich mit den Schultern.
»Vielleicht nach Herford?«
»Meine Eltern wissen’s bestimmt.«
»Sie wird schon bald wieder da sein«, versuchte Agnes ihn zu trösten. »Dann könnt ihr euch wieder öfter sehen.«
Simon nickte und zog einen Schmollmund. Plötzlich fragte er: »Darf ich euch bei der Suche nach Kuniberts Mörder helfen?«
Ludolf lachte kurz auf. »Bist du dafür nicht ein bisschen zu jung?«
»Warum?«, kam es frech zurück.
Was sollte er dem kleinen Burschen jetzt sagen? »Du solltest lieber mit deinen Freunden spielen. Mit so etwas wie Tod und Mord sollte man sich in so jungen Jahren lieber nicht beschäftigen.«
»Wieso denn? Ich habe schon meine toten Großeltern gesehen und auch, wie Kunibert herausgetragen wurde. Maria ist meine Freundin, und ich will ihr helfen.«
Ludolf war beeindruckt von Simons Zuneigung zu Maria und von seiner Hilfsbereitschaft. Er versprach: »Wenn wir besondere Unterstützung brauchen, kommen wir ganz bestimmt zu dir.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
Damit reichten sich die beiden die Hände und drückten, so fest sie konnten.
Ulrichs Hof
Ich glaube, ich weiß, wo Ulrich von Engerns Haus ist«, erläuterte Agnes voller Eifer. Ludolf trottete ihr hinterher. »Es ist in der Ritterstraße, schräg gegenüber dem Sitz meines Onkels.«
Innerhalb weniger Augenblicke eilten die zwei von der Bäckerstraße das kurze Stück an der Stadtmauer entlang und bogen in die Ritterstraße. Gleich links war der Burgsitz des Mindener Domkapitels, rechts der Hof der Familie von Ecksten. Schließlich blieb die Nonne vor einem Hoftor stehen, fast genau gegenüber dem gräflichen Besitz.
Vor dem stattlichen Gebäude war niemand zu sehen. Wahrscheinlich spielte sich das ganze Leben in den hinteren Gebäuden ab, zu denen ein ausgefahrener Weg seitlich am Haupthaus entlangführte. Von den Nachbargrundstücken schallten das geschäftige Treiben der Leute, das Muhen von Kühen und das Klappern von Arbeitsgeräten herüber. Aber hier war nichts zu hören – beinahe Totenstille. Auch sonst machte der Hof einen verlassenen Eindruck. Überall wucherten Kraut und langes Gras. Womit verdiente Ulrich sein Geld?
Ludolf klopfte fest an die schwere Eichentür. Als sich auch nach geraumer Zeit nichts rührte, versuchte er es abermals. Endlich hörten sie eilige Schritte von Holzschuhen im Haus. Eine Frau fortgeschrittenen Alters in einem einfachen Kleid öffnete die Tür und begrüßte die beiden Ankömmlinge sehr freundlich.
Ludolf und Agnes erwiderten den netten Gruß und fragten, ob sie den Herrn von Engern sprechen könnten.
»Das tut mir leid, aber er ist vorhin mit einigen Nachbarn und unserem Knecht eilig weggeritten. Ich weiß auch nicht, wann er wieder zurück sein will.«
»Oh, wie schade«, heuchelte Agnes und setzte ein enttäuschtes Gesicht auf. »Wir fahnden zusammen mit dem Herrn nach den Mördern von Kunibert Nachtigal. Wir benötigen ganz dringend des Herrn Hilfe. Was machen wir bloß?«
Ludolf musste sich ein Grinsen verkneifen und setzte schnell nach. »Dann müssen wir halt warten. Hoffentlich gehen uns diese Halunken dann nicht durch die Lappen.«
»Genau. Hoffen wir das Beste.«
Hektisch blickte die Frau zwischen den beiden Besuchern hin und her. Vor Aufregung ballte sie ihre Schürze zusammen, als hätte sie ein Wischtuch in der Hand. »Kann ich euch nicht helfen?«
Agnes schaute sie mit großen Augen an. »Wer seid ihr denn?«
»Ich bin die Magd Jutta, ich arbeite schon fast zwanzig Jahre hier. Ich kenne Maria, seitdem sie in dieses Haus kam.«
Agnes nickte anerkennend. »Dann könnt ihr uns ganz bestimmt
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