Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
zurück und ordnete umständlich ihre Kleidung, zupfte ihre Haube wieder zurecht.
»Bitte entschuldige. Aber man könnte uns sehen.«
Ludolf nickte nur. Einerseits war er enttäuscht, andererseits aber auch einfach glücklich über ihre Nähe.
»Ich würde gern mehr über Maria erfahren.« Sie musste ihre Gedanken wieder zu dem Auftrag zwingen, um nicht ihre Zurückhaltung zu verlieren. »Wen wollen wir aber befragen?«
Der junge Herr vom Domhof zuckte mit den Schultern. »Ulrich können wir uns ab jetzt ersparen. Wir kennen ja nun seine Art zu argumentieren. Aber was meinte er da über eine Greta, die dich als unbelehrbar bezeichnet hat?«
»Das kann nur die Äbtissin Greta von Hattelen sein. Ich frage mich bloß, wann und wieso die über mich gesprochen haben.«
Ludolf überlegte kurz. »Das kann ja nur gestern Nachmittag gewesen sein. Kurz bevor Vater, der Domdekan und ich beim Bürgermeister eintrafen. Sie war ja schon da.«
Agnes hatte einen Geistesblitz. »Warum machen wir nicht bei jemandem aus Ulrichs Familie weiter? Der Bursche ist doch jetzt beschäftigt. Und anschließend suchen wir Kuniberts Eltern auf.«
Beide grinsten zufrieden über die grandiose Idee.
Der Nachbarsjunge
Was ist mit Maria?«
Ludolf und Agnes drehten sich erschrocken um. Ein Junge von etwa zehn oder elf Jahren saß auf der Mauer auf der anderen Straßenseite und schaute mit ausdruckslosem Gesicht zu ihnen herüber. Sie hatten nicht bemerkt, dass sie beobachtet worden waren. Was hatte der neugierige Bengel alles gesehen?
Agnes war vor Scham rot geworden. Sie räusperte sich kurz und antwortete dann: »Sie ist überfallen und verletzt worden.«
»Schlimm?«
»Nur ein paar Schrammen. Das verheilt wieder.«
Der Junge sprang von der Mauer und schlenderte über die Straße. Dabei trat er gegen jeden Kiesel, der im Weg lag. »Der Kunibert ist tot, nicht wahr?«
»Ja. Woher kennst du die beiden?«
»Ich wohne hier«, dabei zeigte er auf das Haus, vor dem sie gerade standen. »Genau unter Maria.«
Agnes nickte. »Dann haben wir vorhin ja schon mit deinen Eltern gesprochen.«
»Hab ich gesehen. Ich habe oft mit Maria gesprochen. Ab und zu hat sie richtig lustige Geschichten erzählt. Und an anderen Tagen war sie wieder so traurig und hat nix mehr gesagt.«
»Was für Geschichten hat sie denn erzählt?«
»Och, so ’ne von Schiffen auf’m Meer und von Abenteuern und so.« Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. »Später will ich auch auf Schiffen fahren und Kapitän werden.«
Agnes lachte. »Bis du Kapitän wirst, dauert es aber bestimmt noch ein paar Jahre. Woher hatte Maria denn die Geschichten?«
»Von ihrem Onkel. Der hat da in Seeschlachten gegen feindliche Städte gekämpft.«
»Toll«, die junge Frau nickte anerkennend. »Und wo war das?«
Der Junge kratzte sich am Hinterkopf und verwühlte sein blondes Haar noch mehr. »Irgendwo weit weg, wo es viel wärmer sein soll als hier. Und wo ein großes Meer ist.«
Agnes staunte nicht schlecht. »Dann kanntest du Maria ja richtig gut. Und wie steht es mit Kunibert?«
Er lachte. »Der kannte immer lustige Fragen. Was ist ein Drei-Gänge-Mahl?«
»Das ist einfach. Das ist eine Mahlzeit, die aus drei verschiedenen Speisen besteht.«
»Falsch!«, rief er aufgeregt. »Wenn man nach dem Essen dreimal zum Abort muss.«
»So etwas kenne ich aus Prinzip nicht.« Agnes drehte sich entrüstet zu Ludolf um, der sich lachend an die Hauswand lehnte.
»Er findet es aber gut.« Dabei zeigte der Blondschopf auf Ludolf. »Und warum heißen Pferde Pferde?«
»Keine Ahnung. Aber vielleicht will ich auch das nicht wissen.«
»Weil sie auf Erde gehen. Wenn sie durch die Luft fliegen würden, hießen sie Pfluft.«
»Oder Pfliegen«, ergänzte Ludolf trocken.
Jetzt schüttelten sich alle herzhaft vor Lachen. Hoffentlich kam jetzt niemand vorbei, der sich darüber aufregte, dass hier vor einem Trauerhaus solch eine ausgelassene Stimmung herrschte.
Nachdem sich die Nonne wieder ein wenig beruhigt hatte, sagte sie kopfschüttelnd zu Ludolf: »Der Kleine passt zu dir. Ihr solltet euch zusammentun.« Und an den Jungen gewandt fragte sie: »Wie heißt du eigentlich?«
»Simon.«
»Ich freue mich von Herzen dich kennenzulernen, Simon.«
»Danke.« Freudestrahlend blickte er an Agnes hoch. »Seid ihr auch ’ne Nonne im Kloster?«
Sie bejahte.
»Dann kennt ihr meine Schwester Adelheid?«
Agnes erinnerte sich gut an eine Novizin namens Adelheid. Sie war ein hübsches, junges Mädchen,
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