Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Vater nickte. »Möglich. Dann nimm sie doch mit, damit du sie genauer untersuchen kannst. Solange Maria Nachtigal im Kloster ist, merkt doch keiner, dass sie fehlt.«
Auf dem Rückweg erzählte Ludolf noch einiges, was er bei seinen Studien über Blutwunder gelesen und gehört hatte. Sein Vater hörte gespannt zu und versprach seinem Sohn, einige Dinge für ein Experiment zu besorgen. »Ich hoffe, es funktioniert«, sagte Johannes und klopfte seinem Sohn anerkennend auf die Schulter.
Damals in Italien
Agnes drehte sich der Kopf, ihr war schwindelig. Sie konnte noch immer nicht glauben, was sie gerade gesehen und gehört hatte. Was ging hier vor? Was war mit Adelheid und Ursula geschehen? Warum log Greta von Hattelen so offensichtlich? Sie musste unbedingt versuchen, mit den schwangeren Mitschwestern zu sprechen. Egal wie oft die Äbtissin sie anschreien oder wie oft die Priorin ihr mit der Rute drohen sollte.
Wäre es klug, den Domdekan ins Vertrauen zu ziehen? Seine Stellung und Autorität hätten sicherlich eine größere Wirkung. Aber wäre das auch zum Guten der weggesperrten Nonnen? Für sie wäre es besser, wenn diese Angelegenheit so still und ruhig wie nur möglich gelöst würde.
Agnes spritzte sich das kalte Wasser des Brunnens ins Gesicht, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Eigentlich war sie ja gekommen, um nach Maria zu schauen. Schnell ging sie in die Küche und holte eine Schüssel mit einem köstlich duftenden Linseneintopf.
Schon nach dem ersten Klopfen antwortete aus der Kammer eine leise Stimme. Agnes öffnete die Tür. Maria stand am Fenster und schaute hinaus. Sie sah inzwischen ein wenig erholter aus, machte aber noch immer einen traurigen, niedergeschlagenen Eindruck. Es würde sicher noch Wochen, wenn nicht Monate dauern, bis sie das Geschehene bewältigen würde.
»Ich bin’s nur«, sagte Agnes beim Eintreten. »Ich habe euch eine kleine Stärkung mitgebracht.« Sie stellte die Mahlzeit auf den kleinen, roh gezimmerten Tisch. Der Teller mit der Suppe von heute Morgen war nicht angerührt worden.
»Wie geht es euch?«
»Diese dicken Mauern machen mich traurig. Ich möchte in meine Wohnung.«
»Ihr solltet noch ein paar Tage hierbleiben, um euch zu erholen. Die Schwestern hier im Kloster kümmern sich gerne um euch.«
Maria antwortete nicht und blickte nur abwesend aus dem Fenster. Agnes war ratlos. Wie konnte sie der armen Frau helfen? Plötzlich lächelte Maria.
»Worüber freut ihr euch?«, fragte die Nonne erstaunt.
»Schaut! Da sind die kleinen Vögel wieder.«
Agnes trat ans Fenster und sah, wie sich mehrere Spatzen in den Brombeerbüschen stritten. Immer wieder flogen einige heraus, um gleich darauf wieder zurückzukehren. Währenddessen machten die kleinen Rabauken ein Höllenspektakel.
»So viele Spatzen«, wiederholte Maria lachend. »Fliegen immer herum. Sind voller Leben und rufen den ganzen Tag.«
Jetzt wandte sie sich um und blickte die Nonne zum ersten Mal direkt an »Wann darf ich nach Hause?«
»Wartet noch bis nach der Beerdigung eures Mannes. Das wird bestimmt noch ein schwerer Gang für euch. Hier könnt ihr euch ganz in Ruhe erholen.«
Maria drehte sich wieder zum Fenster hin. Das Lächeln war genauso schnell erloschen, wie es gekommen war. »Schon immer schwer gehabt. Nicht neu für mich. Meine Familie ...« Sie stockte.
»Was ist mit eurer Familie?« Agnes hoffte, dass Maria ein wenig ins Erzählen kommen würde und auch endlich einen Hinweis zum Überfall auf sie und ihren Mann geben konnte.
Mit monotoner Stimme sprach sie weiter: »Wir haben viel gearbeitet. Haben Salz aus Meer geholt. Bis der Krieg kam und alles zerstörte. Kein Salz, kein Geld, kein Essen.«
Agnes erinnerte sich an Ludolfs Erklärungen. Das musste in Chioggia gewesen sein. Am Mittelmeer lebten einige Dörfer und Städte nur von der Gewinnung des weißen Goldes. Meerwasser wurde auf eingedeichte Felder geleitet. Das Wasser verdunstete in der heißen Sonne, das Salz blieb zurück und konnte geerntet werden.
Wie in Trance erzählte Maria mit ihrem ungewohnten Akzent weiter: »War nicht viel zu essen da. Nur bei die Soldaten haben wir Essen bekommen. Aber ich musste aufpassen. Manche Soldaten nicht sehr nett.«
War Maria wirklich nur ein Mitbringsel Ulrichs, um seine fleischlichen Gelüste zu befriedigen? Agnes machte die Probe aufs Exempel. »Aber euer Vater Wolter war doch auch Soldat. Hat er euch nicht unterstützt?«
»Wer?« Verdutzt schaute Maria die Nonne an.
»Euer
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