Die heimliche Braut
kam Polly mit bangem Gesicht aus der Küche gerannt. Kaum hatte sie Riona und Eleanor bemerkt, da hastete sie auch schon auf die beiden zu. “Oh, Mylady”, jammerte sie händeringend.
“Was gibt’s?”, erkundigte sich Riona und steckte die Nadel in das sägemehlgefüllte Nadelkissen.
“Ach, es ist wegen dem Küchenmeister! Seit wir die vielen Gäste haben, ist er nicht zu genießen und lässt seine üble Laune am ganzen Gesinde aus. Schimpft und tobt, dass es nur eine Art hat!”
Sofort erinnerte Riona sich an jenen ersten Abend im Burggarten, an dem sie vernahm, wie der Koch die Dienerschaft lautstark zusammenstauchte.
“Als gestandene Magd gewöhnt man sich vielleicht daran, aber heute Morgen hat er unseren Küchenjungen, den Spießdreher, mit der Suppenkelle verdroschen und den armen Kerl grün und blau geprügelt! Wollt Ihr nicht einschreiten?”
“Hast du’s Sir Nicholas gemeldet?”
Zwar empörte Riona der Gedanke, dass man einen Knaben schlug, doch war sie nicht verantwortlich für diesen Haushalt. Wahrscheinlich würde eine Einmischung von ihrer Seite nicht gern gesehen. Wenn aber Nicholas schon einen seiner Bogenschützen wegen der Tötung eines Hundes an den Pranger stellen ließ, dann dürfte es ihm doch erst recht missfallen, wenn man seine Dienstboten prügelte! Zumal einen Küchenjungen!
“Gott bewahre, nein!”, rief Polly aus. “Ach, ich wäre doch beinahe in Ohnmacht gefallen, als er mich neulich in sein Gemach bestellte, um mir die Mitgift zu geben. Freilich, er ist kein solcher Unmensch, wie ich erst dachte. Dennoch …” Sie errötete. “Verzeiht!”, bat sie, bevor sie hinausstürzte. “Aber Alfred, der Küchenmeister, der sagt, wenn sich jemand beschwert, dann wird er behaupten, derjenige hätte gestohlen! Und vor Sir Nicholas des Diebstahls bezichtigt zu werden – oh weh, Mylady!”
“Kannst du’s dann nicht dem Kastellan berichten?”
“Der ist ins Fischerdorf gegangen, unten am Fluss! Anscheinend hat Lord Chesleigh eine Vorliebe für Aale. Außerdem ist Alfred sehr tüchtig und kann mit den Händlern feilschen, wegen des Weines und so. Deshalb wird der Burgvogt ihn nicht vergraulen wollen!”
“Wer darf sonst noch den Knechten und Mägden Weisungen erteilen?”
“Nur der Küchenmeister! Könnt Ihr denn nicht mit ihm reden, Mylady?”, flehte Polly. “Um unsretwillen? Ich bitte Euch! Auf Euch hört er vielleicht! Fredella weiß von Eurem Onkel, dass Ihr sehr gut mit Dienern umgehen könnt! Außerdem seid Ihr ‘ne Lady! Es muss etwas passieren! Sonst hat Sir Nicholas über kurz oder lang eine Meuterei in der Küche!”
Ganz gleich, was Riona vom Burgherrn hielt und welche Folgen diese Sache womöglich nach sich ziehen würde – den armen Jungen weiterhin solch einem Rohling auszuliefern, der ihn grün und blau prügelte, kam nicht länger infrage. “Ich spreche mit dem Küchenmeister”, sagte sie und erhob sich.
Und mit Sir Nicholas werde ich schon fertig, sollte er sich beschweren!
“Oh, habt Dank, Mylady!”, rief Polly erleichtert. “Ihr werdet bestimmt dafür sorgen, dass Alfred zur Vernunft kommt, dieser schwachköpfige Fettsack. Und der arme Tom, der wird sich was freuen!”
Riona blickte auf Eleanor herunter. “Das könnte eine unangenehme Geschichte werden. Falls du also lieber hier bleiben möchtest, habe ich dafür Verständnis.”
Eleanor legte ihre Nähsachen beiseite und stand auf. “Ich komme mit.”
Beeindruckt von solcher Entschlossenheit und froh über die Verstärkung, begab Riona sich unverzüglich zur Küche, gefolgt von ihrer schweigenden Freundin.
Polly indes war alles andere als schweigsam. “Früher, da hatten wir Etienne, einen trefflichen Küchenmeister”, plapperte sie, schon etwas außer Atem, weil sie sich mächtig beeilen musste, um mit den beiden Ladys Schritt zu halten. “Doch der ging in die Normandie zurück, und der jetzige trat an seine Stelle. Verzeiht mir, aber ein rechter Schurke ist der! Erst gibt er einen Befehl, dann vergisst er, was er gesagt hat, und wird fuchsteufelswild, wenn dieser nicht ausgeführt ist und wir was anderes gemacht haben! Als müssten wir seine Gedanken lesen können! Erst gestern haben sich drei von den Mägden auf Nimmerwiedersehen getrollt! Obwohl sie wussten, was Seine Lordschaft für mich getan hat! Sie meinten, es lohne nicht der Mühe, solange Alfred das Regiment in der Küche führt. Ich kann’s ihnen nicht verdenken! Ich selber würde gleichfalls das Weite suchen, aber das
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