Die heimliche Lust
die Ehe mit dem einen Manne keine Erinnerung an Sexualverkehr mit einem anderen mitbringen, ist ja nichts anderes als die konsequente Fortführung des ausschließlichen Besitzrechtes auf ein Weib, welches das Wesen der Monogamie ausmacht, die Erstreckung dieses Monopols auf die Vergangenheit.«
Wie kann sich frau besser auf das Kapitel Ehe — das Ende der Suche einer Frau nach Liebe — vorbereiten, als dadurch, daß sie ihre Erinnerungen über Bord wirft und die Beweise ihres Wissens vernichtet? Wie kann sie besser Donna Reed werden, als dadurch, daß sie alle Indizien von vorehelichem Sex, alle Unanständigkeit, tilgt und außerehelichen Sex tabuisiert, indem sie ihrer Seele ein Ideal sexueller Reinheit überstülpt, das nichts anderes gelten läßt? Und was sonst würde eine Frau veranlassen, alles — heute ebenso wie zu Freuds Zeiten — aufzugeben, als das Versprechen anschließenden ewigen Glücks?
Im Laufe der Monate, in denen wir miteinander sprachen, begannen viele Frauen das Paradox zu erkennen, daß sie sich um einer guten Beziehung willen versteckten, obwohl sie dies nie zuvor getan hatten. Sie fragten sich, was ein solches Zugeständnis bedeutete. So kam June zu dem Schluß, daß sie sich selbst und Russell einen schlechten Dienst erwiesen hatte, als sie alle Zeugnisse ihres früheren (Sexual-)Lebens wegwarf. Sie stellte die damalige Entscheidung in Frage, klagte, daß ihre Vergangenheit niemals wieder ausgegraben werden könne, bedauerte ihr jahrelanges Zögern, darüber zu sprechen, außer in verschwommenster, geringschätzigster Weise. »Ich komme mir wirklich dumm vor. Ich würde diese alten Briefe so gern Chloe vorlesen; ich möchte, daß sie weiß, wer ich war, bevor ich ihre Mama wurde .«
Das vorbildliche Mädchen
Es war nicht das erste Mal, daß diese Frauen versuchten, einen Teil von sich auszulöschen, um einer idealisierteren Vorstellung von Weiblichkeit zu genügen. Sie hatten dies bereits einmal getan, im Alter von elf oder zwölf, als sie begannen, Frauen zu werden. Gerade vorher sind Mädchen so oft am glücklichsten und am meisten sie selbst, am aufrichtigsten, ehrlichsten und klarsichtigsten, ist ihre Welt voll komplexer Beziehungen. Am Anfang der Adoleszenz, meint die Psychologin Carol Gilligan, beginnen Mädchen dann plötzlich einen Prozeß, den sie Revision nennt: Sie fangen an, zu verbergen, was sie bereits wissen und fühlen, als ob »ihre Gefühle grundlos [seien], ihre Gedanken nichts Wirkliches beträfen, sie ihren Erlebnissen nicht trauen könnten oder sie sie niemals verstanden hätten«. Ihre bis dahin klare Sicht des Lebens werde getrübt. Gleichzeitig werteten sie ihre eigenen vertrauten Beziehungen ab und strebten ein weniger prosaisches, aber... vollkommeneres Leben an, in dem es nur vollkommene Beziehungen gibt. Gilligan schreibt:
Wir sprechen während dieser ganzen Zeit mit Mädchen und hören, daß zweierlei geschieht: Was sie durch Erfahrung wissen, ihre eigenen Gedanken und Gefühle, verliert plötzlich an Gewicht. Und Beziehungen werden auf einmal idealisiert; sie sind plötzlich wunderbar, während Mädchen bis dahin wissen, daß Beziehungen interessant, schmerzhaft, erfreulich und gräßlich sein können...; jetzt sind die Beziehungen auf einmal wunderbar. Plötzlich hören wir diese hauchenden Stimmen...
Ein eben noch offenherziges, prä-adoleszentes Mädchen — das im Alter von elf resolut und präsent ist und sich in seinem Körper und in der Welt zu Hause fühlt, das fähig ist, komplexe Beziehungen auszuhalten und zu akzeptieren, zu Eltern und Freundinnen, zu Jungen und zu Lehrern — verliere in diesem Prozeß innerhalb einer Spanne von nicht mehr als etwa einem Jahr das Selbstvertrauen, den direkten Kontakt zu ihren eigenen Gefühlen, ihre Verbundenheit mit ihren Freundinnen und Verwandten, ihre Ehrlichkeit, ihre Aufrichtigkeit und ihren Freimut, ihre Respektlosigkeit, ihren Humor, ihr selbsterworbenes Wissen, daß Beziehungen ständigen Veränderungen unterworfen sind und daß Konflikt und Ärger ebenso ein Teil von ihnen sind wie Harmonie. Nun unterwerfe sich das Mädchen einer Vorstellung von sich selbst, von der Welt, die unrealistisch sei. Denn nichts von alldem komme aus ihren eigenen Erfahrungen, noch gehe es aus ihren eigenen Gefühlen hervor. Gilligan stellt fest:
Mädchen machen aufmerksam auf die Diskrepanz zwischen der Lebenssicht eines mit der Welt Vertrauten, derer sie in der Kindheit teilhaftig sind, und der eines Außenseiters.
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