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Die heimliche Lust

Die heimliche Lust

Titel: Die heimliche Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dalma Heyn
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Krise. Um der Beziehung willen, sagt Gilligan, gibt sie die Beziehung auf.
    Gleichzeitig tritt, wie ausgesandt, um sie zu quälen, die Verkörperung dieses neuen Ideals auf, vielleicht in ihrem eigenen Klassenzimmer, das vorbildliche Mädchen. Wie dem Titelbild von Seventeen entsprungen, hat sie das ideale Aussehen, bekommt die guten Noten und erregt die Bewunderung aller um sie herum. Still und zurückhaltend, wird sie von den Lehrerinnen und den Jungen angehimmelt und von den anderen Mädchen gehaßt, weil sie so entgegenkommend und so falsch ist. Im Gegensatz zu dem Mädchen, das schön und fleißig und beliebt, aber auch lebendig und echt ist, wird das vorbildliche Mädchen sichtlich auf ihre eigenen Kosten brav. Sie hat ihre Vitalität verloren und wirkt entfremdet. Sie macht einen leblosen Eindruck, als sei ihre Persönlichkeit im Interesse des schönen Scheins ausgesaugt worden. Sie erkennt, daß sie einem Image entspricht, und bemüht sich vielleicht sogar, es aufrechtzuerhalten, aber diese Rolle ist für sie ebenso unbehaglich wie für ihre Altersgenossinnen. Sie sieht gut aus, aber sie fühlt sich nicht gut. So willkürlich zum »Ideal« erklärt, weiß sie, daß ihr diese Ehre aus Gründen zuteil wird, die wenig mit ihrem wahren Selbst zu tun haben.
    Mit dem Auftreten dieser Verkörperung eines bizarren, starren Inbegriffs von Teenage-Tugendhaftigkeit legt sich ein Bann über das Klassenzimmer: Falls unser Mädchen ihm nacheifert, wird sie die Plastizität und Echtheit ihrer eigenen Welt verlieren und sich immer mehr zurücknehmen, je mehr sie in diese erstickende falsche hineingerät. Ihre Alternative besteht darin, die Art von Mädchen zu sein, die das Ideal offen ablehnt, die sich weigert, an die Realität dieses saccharinsüßen Geschöpfes, ihre unechten Beziehungen und ihre erstickte Sexualität zu glauben; die Art von Mädchen, die sich auch weiterhin offen über alles äußert, was sie sieht und weiß und fühlt. Sie kennen dieses Mädchen: Sie schminkt sich vielleicht stark; sie zeigt ihre Sexualität offen; sie macht sich über faulen Zauber lustig und redet laut darüber; sie wagt es, genauso auszusehen, sich zu kleiden, zu sprechen und zu handeln, wie sie will. Sie kümmert sich nicht um das vorbildliche Mädchen. Weil sie sich jedoch nicht darum kümmert und weil sie sich wegen ihrer Wut und ihres Trotzes nicht beliebt macht, wird ein solches Mädchen »unanständig« genannt.
    Dies »unanständig« bedeutet auch: sexuell unangepaßt. Das vorbildliche Mädchen dagegen ist vor allem keusch. Das ist es, was sie — noch mehr als ihre Schönheit und ihre Fügsamkeit — »vorbildlich« macht. Jungfräulichkeit ist das Markenzeichen des vorbildlichen Mädchens. Ihren Eltern und Lehrern gestattet dies, sich beruhigt zurückzulehnen. Die Sexualität eines Mädchens muß in den Untergrund gehen, wenn das Mädchen für Lehrer und Eltern akzeptabel sein soll, die entscheidenden Einfluß auf ihr Selbstwertgefühl haben. Die oben genannte Untersuchung der AAUW bestätigte, daß Erwachsene und deren Institutionen einen weitaus bestimmenderen Einfluß auf die Selbstwahrnehmung der Mädchen haben als ihre Altersgenossinnen.

Die Sexualität der Mädchen

    Dennoch beobachten junge Mädchen ebenso wie Jungen ihre eigene Sexualität und die der anderen. Die Mädchen bewundern den heranwachsenden männlichen Körper, sie bemerken die allmählichen Veränderungen des Oberkörpers, der Stimme und der Genitalien der Jungen, doch nichts als ein undurchdringliches Schweigen zeugt von dieser Faszination. Während sich Männer an ihr sexuelles Erwachen erinnern und darüber reden und schreiben — Portnoy und Holden Caulfield, die Hauptfiguren aus Philip Roths Portnoys Beschwerden und Jerome D. Salingers Der Fänger im Roggen, werden ihre Geschichte noch Generationen von jungen Männern erzählen — , werden Frauen offenbar genötigt zu maskieren, was sie empfanden, zu verschweigen, was sie sahen, nichts wahrzunehmen, außer wie sie selbst Männern erscheinen. Sie werden gegenüber ihrer eigenen erotischen Entwicklung stumm und dumm gemacht. Wo sind die Stimmen dieser einst so offenherzigen, scharf beobachtenden, leidenschaftlichen und artikulationsfähigen Mädchen, die über die ersten Regungen ihrer eigenen Sexualität berichten? Wo sind die jungen Frauen — denen nicht die winzigsten Veränderungen, die subtilsten Nuancen in jeder ihrer Beziehungen entgehen — , die offen über ihr eigenes sexuelles Verlangen,

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