Die heimliche Lust
Deborah Tannen in ihrem Buch Du kannst mich einfach nicht verstehen (1992) erinnert. Jede sprachliche Äußerung einer Frau werde als zuviel empfunden, da die meisten Menschen in einem Winkel ihres Bewußtseins der Meinung seien, daß man Frauen sehen, nicht aber hören sollte. Tannen weist auch darauf hin, daß sich Frauen in Gegenwart von Männern »im Rampenlicht« fühlen und dazu neigen, ihre Zunge im Zaum zu halten, ihr Verhalten zu kontrollieren und sowohl ihre Redeweise wie auch die Inhalte den Vorstellungen der Männer anzupassen.
Die von mir interviewten Frauen wußten: Das, was am ehesten als »Zuviel« empfunden wird, sind ihre Erfahrung und ihr Wissen, ihr Leben vor der Ehe, genauer gesagt, ihr Sexualleben. vor der Ehe. Da sie ihren Männern gegenüber nicht rücksichtslos sein wollten, übten sie sich um der Zusammengehörigkeit willen in einem Schweigen, das neu für sie war. Viele Frauen verbargen ihre gesamte Sexualgeschichte vor ihren Männern, in der Hoffnung, keine Eifersucht zu wecken, in der Hoffnung, nicht »zu erfahren« zu erscheinen, wie eine Frau es ausdrückte.
Aber während manche Frauen »Höflichkeit« und »Zartgefühl« als Gründe nannten, weshalb sie über ihre Vergangenheit schwiegen, gingen andere über bloße Rücksichtnahme auf die Gefühle ihrer Männer hinaus und löschten ihre Vergangenheit völlig aus, ohne dazu genötigt worden zu sein. June erzählt mir zum Beispiel en passant , daß sie, sobald sie wußte, sie werde Russell heiraten, all ihre alten Liebesbriefe verbrannte.
»Sie haben alle Ihre Briefe verbrannt ?« fragte ich sie. »Warum haben Sie das getan ?«
Ich weiß es eigentlich nicht. Russell hätte es nichts ausgemacht, nehme ich an. Es hatte damit zu tun, daß ich für das Wesentliche bereit sein wollte; eine Art Vorbereitung auf die Heirat, für all diese wunderbaren Dinge, die geschehen würden.
»Wunderbar in welcher Hinsicht ?« frage ich sie.
In dem Sinn, daß ich nur diesem Mann gehören würde, so wie er mir gehören würde und wir einander treu sein würden. All diese andere Liebe, die ich bisher erlebt hatte, war vermutlich etwas ganz anderes.
»Waren Sie sich bewußt, daß Sie einen Teil von sich selbst wegwarfen, oder hatten Sie nicht dieses Gefühl ?«
Überhaupt nicht. All dieses peinliche Gesülze wegzuwerfen? Das erschien mir überhaupt nicht als Opfer.
Die Mehrzahl der Frauen, die ich über diesen Punkt befragte, hatten sich ebenso verhalten wie June, hatten die Briefe weggeworfen, die sie von anderen Männern erhalten hatten. Die siebenunddreißigjährige Bettina erklärt das:
Ich stellte mir vor, daß Ron [ihr Mann] eines Tages in meinen Tagebüchern blättern und einen Anfall kriegen würde. Mit anderen Männern hatte ich Dinge getan, die ich mit ihm nicht getan hatte, und das stand alles da, offensichtlich sexuelles Zeug. Ich fürchtete, daß er daraufkommen könnte, daß er mich vielleicht fragen würde, warum ich diese Dinge nicht mit ihm getan hatte oder warum ich sie mit anderen Männern getan hatte. Ich wollte dieser Konfrontation jedenfalls aus dem Weg gehen. Natürlich ist es lächerlich, weil er ja wußte, daß ich mit anderen Männern gelebt hatte.
Rosemarie, die mit siebenundzwanzig, drei Jahre, bevor ich sie kennenlernte, einen Studienkollegen geheiratet hatte, sagte, es seien nicht ihre sexuellen Erfahrungen gewesen, von denen sie sich nach ihrem Empfinden distanziert habe, sondern ihre Gefühle gegenüber dieser Erfahrung, die, wie sie meinte, »einfach zu ungeordnet, zu dramatisch« seien, als daß sie mit ihrem Mann darüber reden könnte. Sie würde dann ja »all diese Schmerzen und Freuden und Kompliziertheiten« erklären müssen, »und er würde gewiß nicht verstehen, wer diese Person war, die all das empfand«. Ihr Mann liebe sie, zumindest jene Aspekte von ihr, die sie ihm gezeigt habe. Aber würde er auch die Gefühle billigen, die sie verborgen hielt? Obwohl all die Frauen, die ihre Liebesbriefe weggeworfen hatten, dies aus scheinbar harmlosen Gründen taten, ließen sie doch durch-blicken, eine umfassende Selbstreinigung als Vorbeugungsmaßnahme gegen eine mögliche schreckliche, inkriminierende Enthüllung über sie selbst sei nötig gewesen. Erinnerungen an verflossene Liebhaber, frühere Freude, Sex und Wut, Beweise alter Leidenschaften seien gefährlich, meinten sie etwas kleinlaut, und, wie June es formulierte, »den Verdruß nicht wert«.
»Was meinen Sie mit >den Verdruß nicht wert< ?« frage ich
Weitere Kostenlose Bücher