Die heimliche Lust
»entscheidend auf ihre Selbstachtung auswirken«.
Weil sie sich einem Idealbild von »Bravheit« verschreiben, das sie von sich selbst und von anderen abspaltet, weil sie sich eine verurteilende innere Stimme zu Herzen nehmen, die ihnen ständig mit Liebesverlust droht, fühlen sich all die Frauen, mit denen ich redete, psychisch gefesselt — gefangen zwischen dem, was sie wirklich empfinden, und dem, was sie empfinden sollten, zwischen dem, wer sie sind, und dem, wer sie sein sollten. Die Authentizität, die sie opferten, die intuitiven unkontrollierten Reaktionen, die sie verdrängten, sind genau jene Attribute, die einst das vitale Selbst ausmachten, das sie zu sein liebten und das ich ihre Sexualität nenne: das spielerische, ungehemmte Selbst, das sich freimütig äußerte, ohne Wut, Feindseligkeit und Konflikte zu zensieren, das Lust erlebte, das in Beziehungen aufblühte.
Die Romanautorin Margaret Drabble, die in The Waterfall (1976) eine Neufassung von George Eliots Meisterwerk The Mill on the Floss lieferte, läßt ihre Heldin, Jane Gray, direkt zu dieser Spaltung zwischen dem, was sie tun will, und dem, was sie tun sollte, sprechen, in dem Bestreben, die Macht des letzteren zu brechen. Im Gegensatz zu ihrem fiktiven Gegenstück von 1860, Maggie Tulliver, beschließt Jane Gray, sich nicht von den alten Strukturen fesseln zu lassen. Die herrschende Sexualmoral diskriminiere Frauen, findet sie, und »wenn ich eine Moral benötige, werde ich mir eine schaffen«. Indem sie sich eine Moral schafft, die ihr gemäß ist, findet sie die Abenteuer und Freuden, die Maggie versagt blieben: Ihre eigene Leidenschaft für den Mann ihrer Cousine »befreit sie aus einer Ummauerung«, statt sie wie Maggie »zu bestrafen«, und »eröffnet« ihr ein neues Leben, in dem sie eine »Wiedergeburt« erlebt.
Die neutralisierte Ehefrau
Die Soziologin Jessie Bernard beschreibt in ihrem Buch The Future of Marriage (1976) den komplizierten Prozeß, der dazu führt, daß sich Frauen die Schuld an Gefühlen geben, die sie nicht haben dürften. Sie bezeichnete die Ehe als »pathogen« für Frauen, die sie sich gleichwohl so sehr wünschten, daß sie nicht merkten, wie »deformiert« sie dadurch würden. Obwohl »Frauen, die es gewöhnt sind, sich frei zu äußern, in einer solchen Beziehung nicht glücklich seit* können — dazu ist sie zu einengend und zu strafend — «, passen sich selbst diese Ehefrauen schweigend an, ein Faktum, das Bernard auf fabelhaft gelungene Sozialisation zurückführt. »Wir sozialisieren unsere Mädchen tatsächlich so gut, daß viele Ehefrauen, vielleicht die meisten, nicht nur das Gefühl haben, in der Ehe Erfüllung zu I finden, sondern über jeden empört sind, der ihr eheliches Glück in Frage zu stellen wagt.« I
Bernard wollte wissen, warum so viele Frauen ihre Ehe als »glücklich« bezeichneten, obwohl es Anzeichen dafür gab, daß sie sich in ihr zutiefst entfremdet fühlten. Sie stellte fest, daß Wissenschaftler dazu neigen, die Äußerungen einer Frau zu ignorieren, sofern sie nicht bestimmte Kriterien erfüllen: Das eheliche Glück maßen sie nicht daran, wie die Frau selbst es einschätzte, sondern — vielmehr an ihrer Anpassung an die Ehe. Schien sie in den Augen der Wissenschaftler gut angepaßt, wurde sie von ihnen als »glücklich« bezeichnet. Bernard schloß daraus, es sei verständlich, daß eine Ehefrau genauso verfahre, nämlich »ihre Anpassung... als Glück deutet, gleichgültig, wie hoch der Preis ist, den sie in Form von seelischem Leidensdruck dafür bezahlt«. i
Bernard hatte Vorjahren die »Schocktheorie der Ehe«, wie sie es nannte, vertreten, derzufolge »die Heirat so tiefreichende Brüche im Leben der Frauen zur Folge hat, daß sie ein echtes emotionales Gesundheitsrisiko darstellt«. Sie nannte einige der »standardisierten« Schocks: der Konflikt, den die Braut zwischen ihrer Bindung an ihre Herkunftsfamilie und ihrer Bindung an ihren Mann erlebt; die Desillusionierung, die nach den Flitterwochen eintritt; das Fehlen einer Privatsphäre in der Ehe; der Umbruch, der eintritt, wenn die Frau nicht mehr die Umsorgte ist, wie sie es in der Zeit der Werbung ist, und zur Umsorgerin wird; der Bedeutungsverlust, den die Ehe für Frauen mit sich bringt, trotz »all der Klischees über den hohen Status der Ehe«.
Susan Faludi ging in ihrem Buch Backlash (1991) [dt.: Die Männer schlagen zurück, 1993] Bernards Warnung nach, daß die Ehe ein emotionales Gesundheitsrisiko
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