Die heimliche Lust
Vergangenheit plötzlich als »peinlich« erscheint? Wieviel von ihrer Sexualität, die ihr allein gehörte, auf die sie stolz war und die sie zwölf Jahre lang in Beziehungen intensiv auslotete, darf sie beibehalten? Wie sollte sie sein , jetzt, da sie es tunlichst vermeidet, ihren Mann an ihre wilden Jahre zu erinnern, als die »eiskalte Abschlepperin« zu erscheinen oder ihn sonstwie auf ihr Leben vor ihm aufmerksam zu machen?
Und so endeten Connies fruchtbare sexuelle Lehrjahre, so schrumpften all diese schwierigen, leidenschaftlichen, verrückten, komplizierten Beziehungen und ihre eigenen turbulenten Gefühle zu nichts weiter als einem anstößigen Geheimnis zusammen. So begann das Ehe-Drehbuch, auf dessen sexuelle Anforderungen sich Connie niemals hätte vorbereiten können, weil keine existieren. Sie schaut also zu, während die leuchtenden Farben des Wandgemäldes, das ihr Leben ist, weiß übertüncht werden, um darauf in sorgsamen Pinselstrichen eine neue »sittsame« und wohlgeordnete Szene entstehen zu lassen.
Wie Connie merkte auch keine der anderen Frauen, daß diese schimmernden Töne und Nuancen ihrer Lebensgeschichte den Blicken entschwanden, während ihre Vergangenheit versteckt und ihre Zukunft übermalt wurde, jedenfalls nicht, während dies geschah. Sie stimmten dieser Fassadenerneuerung zu, diesem aufregenden und freudigen Ritual, auf das sie als Bräute ein Anrecht hatten. Sie fühlten sich immun gegenüber dessen Fallstricken. Eine Frau erinnert sich an böse Vorahnungen:
...wie sonderbar ich mich bei meiner Brautfeier fühlte, und auch alle meine Freundinnen schienen ganz verändert. Es wurde soviel gequietscht und gekreischt — kleine Ausbrüche von unechtem Gelächter, das klang, als wären wir Frauen von irgendeinem anderen Planeten zusammengekommen, um über die Großartigkeit meines neuen Lebens zu kichern. Wo Frauen zu Ehefrauen werden.
Connie erzählte keiner einzigen ihrer Freundinnen je von ihrem Gefühl, eher in einer Kathedrale als in einer Beziehung zu leben, weil sie sich schämte, als ungeeignet für die Ehe zu erscheinen. Viele von ihnen, erfuhr sie später, fühlten sich genauso, enthielten einander aber systematisch die Wahrheit über ihre Ungewißheit und Isolierung und Desorientierung vor, da sie es nicht über sich brachten, ihre Unzulänglichkeit oder, was noch mehr gegen sie gesprochen hätte, ihr Unglück zuzugeben. So perpetuierten sie das Märchen vom Erfolg und der Zufriedenheit von Ehefrauen; mit anderen Worten, sie spielten mit bei der Kollusion ihres kollektiven Schweigens über das, was sie in Wirklichkeit empfanden, dachten und wußten.
Connie fragte ihre Freundinnen schließlich gezielt: »Was läuft hier eigentlich ab ?« Sie war schockiert, als sie entdeckte, daß fast alle ebenso verunsichert waren wie sie, daß sie ihr Sexualleben als genauso schal empfanden wie sie und ebenso zu Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen neigten.
»Endlich redeten wir offen darüber. Wir saßen beim Mittagessen zusammen und fragten uns: >Was ist mit uns geschehen? Früher hatten wir soviel Spaß am Leben! Wir haben gelacht ! Wir haben uns geschworen, wir würden nicht so tief sinken, uns über Gardinen zu unterhalten! Warum sind wir jetzt so matronenhaft ?< « Daß sie die Verbindung untereinander hatten abreißen lassen, die Bande, die einst ihr Universum zusammenhielten, hatte ihre Entfremdung noch verschärft. Sie waren immer mehr verstummt und immer weiter hinter dem Idealbild der vorbildlichen Frau, als die sie die jeweils anderen sahen, zurückgeblieben.
Connie erlebte ihr eigenes Schweigen als eine Spaltung nicht nur zwischen sich und ihren Freundinnen, sondern, zentraler, zwischen dem, wie sie sich wirklich fühlte, und wie es ihr aus der Sicht der anderen erging. Das heißt, als sie sich einen Augenblick lang aus dem Subjekt- in den Objektstatus versetzte, löste sie sich von ihrer eigenen, wahren Sicht der Dinge und konzentrierte sich darauf, wie andere sie sahen. »Du hast, was sich jede Frau wünscht«, sagte diese leise Stimme in ihr. »Was könntest du denn überhaupt noch mehr wollen ?«
Diese leise Stimme in ihr, die sie erinnert, nicht nur, wer sie sein »sollte« und wie sie sich benehmen »sollte«, sondern auch, was sie empfinden »sollte«, verwirrt sie. Denn es ist nicht ihre eigene Stimme, die aus ihrer eigenen Erfahrung spricht und sagt: »Ich möchte, ich fühle, ich weiß, ich denke .« Es ist eine Stimme, die jemandem gehört, der sie zum
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