Die heimliche Lust
bemerkte eine der Frauen.
Sie beschrieben den schmerzhaften Prozeß, sich mit einer Rolle abzufinden, die ihnen fremd war. Die Gleichförmigkeit ihrer Reaktionen — ihre große Verwirrung — überzeugte mich, daß etwas geschehen war, das sie erstickt und gelähmt hatte. Was im Grunde nötig war, war ein mühsamer Ausgrabungsprozeß — die Exhumierung eines verlorenen Gefühls von Lust und Spiel und Lachen, das Zutagefördern einer verlorengegangenen Sinnlichkeit, die in einem frühen Stadium der Beziehung lebendig begraben worden war.
Die physisch vollkommene Frau
Es war nicht das erste Mal, daß ich Frauen interviewte, deren Entfremdung von ihrem Ich sich als eine Entfremdung von ihrem Körper, als Abtrennung eines Körperteils oder als eine Temperaturanomalie ihres Körpers äußerte. Die Konflikte, die halbwüchsige Mädchen mit dem Heranwachsen und Frauwerden haben, äußern sich häufig in einem Kampf gegen ihre natürliche Körperlichkeit. Die Herausbildung der weiblichsten Teile ihres Körpers — ihrer Schenkel, Brüste und Hüften — erleben sie nicht als neu und wunderbar und aufregend, sondern als abstoßend, unerwünscht und angsterregend. Sie reagieren auf ihre sich entwickelnde Weiblichkeit und Sexualität mit Ekel, je mehr sich ihr Körper vom gesellschaftlichen Ideal weiblicher Vollkommenheit entfernt, jener widernatürlichen Kombination von Jungenbeinen, Knabenhüften und Teenager-Brüsten, die wenig Frauliches an sich hat.
Dieses Phänomen, das ich 1986 in Mademoiselle als Body Image Distortion Syndrome (Körperbild-Entstellungssyndrom) beschrieben habe, beschränkte sich einst auf junge Frauen mit Eßstörungen, oft Anorektikerinnen oder Bulimikerinnen, die in den Spiegel schauen und »dicke« Bäuche, »abstoßende« Schenkel und »riesige« Brüste erblicken, obwohl sie in Wirklichkeit um die 40 Kilo wiegen und eingefallene Bäuche, Schenkel mit Wadenumfang und so gut wie keine Brüste haben. Dieses Syndrom taucht mit zunehmender Häufigkeit unter jungen Frauen mit normalem Gewicht auf, Frauen, die keine Eßprobleme haben, die nicht abwechselnd fasten und fressen — Mädchen, deren Körper der Betrachterin anmutig erscheinen. Psychology Today stellte in einer Untersuchung (1985) fest, daß die Befragten »erheblich unzufriedener mit ihrem Körper« waren, als 1972 aus den Antworten auf ähnliche Fragen hervorgegangen war. In den Spiegel zu schauen und widerwärtige Körper zu »sehen«, die nichts mit der Realität zu tun haben, ist ein Phänomen, das sich nicht länger auf junge Frauen mit Eßstörungen beschränkt: Die Mehrzahl der gesunden jungen Mittelschichtfrauen in den Vereinigten Staaten ist davon betroffen.
Bei einer Untersuchung wurden 100 normalgewichtige Frauen ohne Symptome von Eßstörungen aufgefordert, den Umfang von ; Teilen ihres eigenen Körpers zu schätzen: Taille, Flüften, Ober- ] Schenkel, Wangen. Ihre Antworten wurden dann mit den tatsäch- j liehen Meßwerten verglichen. Mehr als 95 Prozent der Frauen über- j schätzten ihren Körperumfang um durchschnittlich 25 Prozent, i Zwei von fünf Frauen überschätzten ihre Maße noch stärker und nahmen zumindest einen Teil ihres Körpers um mindestens 50 Pro- 1 zent umfangreicher wahr, als es der Realität entsprach.
Eine Untersuchung von 33 000 Frauen, von Glamour 1984 veröffentlicht, ergab, daß sich 75 Prozent der Befragten im Alter zwi-sehen 18 und 35 Jahren für zu dick hielten (nur 25 Prozent waren faktisch übergewichtig); 45 Prozent der Untergewichtigen hielten sich ebenfalls für zu dick.
Die Reaktion der meisten jungen Frauen auf das erwähnte Körperideal: Statt das Ideal als das zu verwerfen, was es ist — unfraulich, lächerlich, destruktiv, häßlich — , lehnen sie sich selbst ab und justieren ihre Sichtweise so, daß sie es sind, die lächerlich, häßlich und unfraulich erscheinen. O. Wayne Wooley und Susan Wooley, die sowohl die Glamour -Erhebung als auch eine Körperbild-Studie in Psychology Today durchführten, gelangten zu dem simplen Schluß: »In dem Maße, in dem Frauen ein gnadenlos schlankes Idealbild verinnerlichen, an dem sie ihre Attraktivität messen, bleiben ihnen nur zwei Möglichkeiten für ihr eigenes Körperbewußtsein: Entweder sie sind entsprechend schlank, oder sie lehnen sich ab.« Sie haben, genauer gesagt, keine Chance zu entdecken, wie ein weiblicher Körper wirklich aussieht; und nur eine geringe Chance, sich jemals mit einem solchen Körper akzeptieren zu
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