Die heimliche Lust
können.
In der Vorstellung ihrer eigenen Fettleibigkeit gefangen, spiegelt ihnen ihr Bild den abstoßenden Anblick ihres Geschlechts: Sie erblicken einen formlosen, gesichtslosen, grotesken Fettkloß, den Inbegriff des weiblichen Selbsthasses.
Mit diesem Ideal weiblicher Vollkommenheit im Kopf lassen manche Frauen in höherem Alter lieber ihren Körper mit Hilfe der Chirurgen ummodeln, als das Ideal in Zweifel zu ziehen; alle Anzeichen von Weiblichkeit, auf die sie ihr »gräßliches« Selbst zurückführen, sollen entfernt werden, um so der überwältigenden Angst Herr zu werden, die sie quält.
Wenn junge Mädchen die eigene heranreifende Weiblichkeit auf diese Weise »begrüßen«, kann das nicht nur als ein Problem des Körperbildes bezeichnet werden, als ob die Schwierigkeit allein in der Wahrnehmung des Körpers liege. Steven Levenkron, als Psychotherapeut spezialisiert auf Eßstörungen, ist überzeugt, daß es sich keinesfalls um ein Problem des Körperbildes handelt, sondern um eine plausible Reaktion auf die »antiweibliche Ethik« unserer Kultur. Die Autorin Naomi Wolf nennt es in The Beauty Myth (1991) »eine Obsession, bei der es nicht um weibliche Schönheit geht, sondern um weiblichen Gehorsam«. Das schlanke »Ideal« sei nicht aus ästhetischen Gründen schön, sondern »als eine politische Lösung«. Eine hungrige Frau werde schwach, stumm, unsicher, asexuell, erläutert sie — welche Autorität könnte von einer solchen Person schon ausgehen?
Die Körpersprache von Frauen zeugt ebenso wie das Körperbild junger Mädchen von einem so immensen Verlust und einer so großen Aggression, daß sie nur weiter nach innen gewendet und in noch größeren Selbstekel und Haß gegen alles Weibliche umgewandelt werden können. Die Idealbilder vom vollkommenen Körper und der vorbildlichen Ehefrau gewährleisten, daß es Frauen auch weiterhin schwerfallen wird, ihr wirkliches Selbst nicht zu hassen. Der Verlust ihrer Visionen und ihrer Stimme stellt bloß den Anfang dessen dar, was sie verlieren, wenn sie sich an diese falschen Ideale anpassen.
Wendys Gedächtnisverlust ist nicht so überraschend, schließlich sollte sie auch die meisten ihrer Beziehungen zu Männern »vergessen« und alle sexuellen Erfahrungen ihres Lebens hinter sich lassen. Carolyns Kehlkopfentzündung war sicher der körperliche Reflex auf das Gefühl, zum Schweigen gebracht worden zu sein, und dasselbe gilt für Karens Angewohnheit, ihre Sätze unvollendet zu lassen. Alisons eiskalte Glieder haben einen Sinn, wenn man berücksichtigt, wie die Gefühle zwischen ihr und ihrem Mann seit Jahren abkühlten, ohne daß einer der beiden bemerkt hätte, daß sie schließlich erfroren waren. Und Connies wiederkehrende Zombie-Träume? Ein Zombie ist ein entkörpertes Ding, ein seelenloser menschlicher Leichnam, zwar tot, aber von einer fremden Energie angetrieben, die es ihm ermöglicht, herumzugehen und zu handeln und sich zu bewegen, als sei er lebendig.
Depression und Desexualisierung
In ihrer 1980 erschienenen Untersuchung über Depression unter Frauen, Unfinished Business, beschreibt Maggie Scarf, wie sie erstmals auf ihr »bizarr« erscheinende Statistiken stieß, aus denen hervorging — und darin stimmte die gesamte Literatur überein — , daß »auf jeden Mann, bei dem eine Depression diagnostiziert wurde, zwischen zwei- bis sechsmal so viele Frauen entfielen« [Hervorhebung durch M. S.] — mit steigender Tendenz. Die am häufigsten genannte Ursache, die zu diesen Zahlen führte, stellte sie fest, war »der Verlust an emotionaler Verbundenheit«; im Mittelpunkt depressiver Phasen stünden »bei Frauen häufiger als alle möglichen anderen Probleme Bindungsfragen«.
Bei ihrer weiteren Untersuchung des Zusammenhangs von Depression und Verlustgefühlen bei Frauen orientierte sich Scarf an der Arbeit Marcia Guttentags, der damaligen Leiterin des Harvard-Projekts »Frauen und psychische Gesundheit«, die das Ausmaß weiblicher Depression als »epidemisch« bezeichnete. Guttentag und ihre Kolleginnen arbeiteten u. a. das Frauen- und das Männerbild in Publikumszeitschriften heraus. In den Erzählungen und Essays, die sich an Männer richteten, ging es in erster Linie um Abenteuer und um die Überwindung von Hindernissen; im Mittelpunkt des Interesses standen Problembewältigung und der Triumph über alle Schwierigkeiten.
»Die für Frauen geschriebenen Magazine hatten dagegen eine ganz andere Orientierung«, stellte Guttentag fest.
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