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Die heimliche Lust

Die heimliche Lust

Titel: Die heimliche Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dalma Heyn
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hatten, so sehr schreckten sie vor dem Versuch zurück, sich diese neu zu erobern. Sie fürchteten den totalen Verlust der Beziehung und ihres Selbst, wovon Jean Baker Miller, Maggie Scarf und Dana Crowley Jack sprechen — und worauf die Zeitschriften reagieren. Hier wurden die Frauen vor eine lähmende Wahl gestellt: Wollten sie sich weiter bemühen, die »Frauendarstellerin« zu werden, auf die wir alle hindressiert werden, wie Gloria Steinern sagte, oder wollten sie ihre Sexualität wiedergewinnen und der leidenschaftlichen, dem Untergang geweihten Heldin der Liebesromane geradewegs an ihr Ende unter einem Zug folgen.

Vor über 300 Jahren lebte in Boston die berühmteste und schönste Ehebrecherin der amerikanischen Literatur, Hester Prynne. Wie Prynnes Schöpfer, Nathaniel Hawthorne, sie schilderte, war sie »hochgewachsen und von vollendet schöner Gestalt. Sie besaß dunkles, üppiges Haar, das so glänzend war, daß der Sonnenschein darauf widerstrahlte, und ein Gesicht, das mit seinen regelmäßigen Zügen und der zarten Hautfarbe nicht nur schön, sondern durch die bedeutende Stirn und die tiefschwarzen Augen auch sehr ausdrucksvoll war«.
    Exotisch, majestätisch, wunderschön, so hoben sich ihre blühende Sexualität und strahlende Weiblichkeit von der strengen Langeweile im puritanischen Neuengland ab; die Bewohner der Stadt verrieten mit jedem farblosen Kleidungsstück an ihrem Körper und dem verkniffenen Ausdruck auf ihren »harten Gesichtszügen« ihren religiösen und moralischen Rigorismus, ihre Verurteilung allen Vergnügens und allen Mitgefühls, ihren Abscheu vor der Sexualität und ihren unerschütterlichen Glauben an die Sündhaftigkeit von Männern und Frauen.
    In krassen Gegensatz zu Hesters lebendiger Sexualität stellt Hawthorne ihre Geschlechtsgenossinnen in dieser nüchternen, freudlosen Gemeinde. Er bezeichnet sie als »Frauenzimmer«, »Weibsbilder«, »Hausherrinnen« und »Matronen«, aber niemals als »Frauen«, weil sie eine so erstaunliche Ähnlichkeit mit den herrschenden finsteren, »eisernen« Männern haben. Wir sehen sie anfangs, wie sie vor der Gefängnistür auf Hester warten und fordern, sie auf der Stirn mit einem glühenden Eisen zu brandmarken oder, wie es eine Hausfrau verlangt, zum Tode zu verurteilen. Hawthorne vergleicht sie mit der »männlichen [Königin] Elisabeth«, die fast hundert Jahre zuvor in England regierte. Er versucht, ihre Männlichkeit in beidem, im Aussehen wie auch im Urteilen, zu erklären: »...und Rindfleisch und Ale ihrer Heimat, mit einer ebenso derben moralischen Kost, sprachen bei ihrer Veranlagung sehr mit«; und er merkt an: »Zudem sprachen diese Matronen... so derb und rundheraus, daß es uns heutzutage erschrecken würde...« Sie waren genauso laut, derb, vierschrötig und hart wie die Männer, nicht nur, weil sie genau dasselbe aßen und tranken und genauso dachten wie sie, sondern weil sie psychologisch in genau dasselbe undurchdringliche »eiserne Gehäuse von Überzeugungen« eingesperrt waren wie die Männer.
    Es ist, als wollte Hawthorne diese sündengepeinigte Gemeinde mit Hesters exotischer Schönheit und strahlender Weiblichkeit blenden; als wolle er die Bewohner der Stadt zwingen, zur Kenntnis zu nehmen, wie eine Sünderin und eine richtige Frau aussieht. Er stattet Hester mit einem so außergewöhnlichen Verständnis menschlicher Beziehungen aus, daß sie allein zu einer Art Prophetin für diese Puritaner werden kann. Ihre Mission würde darin bestehen, ihnen allen »eine neue Wahrheit zu offenbaren, welche die ganzen Beziehungen zwischen Mann und Frau auf einen festeren Boden gegenseitigen Glückes stellen könnte«. Sie allein könnte ein neues Zeitalter der Liebe und des Mitgefühls einläuten, des Verständnisses und der Harmonie zwischen Männern und Frauen. Und das scharlachrote A auf ihrer Brust war »das Symbol ihrer Berufung«.
    Hawthorne lenkt geschickt die Aufmerksamkeit auf die Pracht des scharlachroten Buchstabens, »die kunstvolle Stickerei und das Funkeln des goldenen Garns«, als könnten die Liebe und Leidenschaft und Vitalität, die mit den Fäden der Sünde hineinverwoben sind, den Frauenzimmern etwas Freudvolles, Großartiges enthüllen — wenn sie es nur erkennen könnten. Seht her, sagt er, hier liegt das Geheimnis von Hesters Charakter! Hört auf sie! Lernt von ihr! Falls sie offen dafür wären, könnten sie in der Stickerei nicht nur die Sünde sehen, sondern auch die Liebe, das Wissen und die

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