Die heimliche Lust
egoistisch. Was für ein Quatsch! Kleine Mädchen bezeichnet man als »egoistisch«, wenn sie sich nicht ausschließlich um das Wohl von jedermann außer sich selbst kümmern. Jedes Kind ist egoistisch — warum wird von Mädchen erwartet, sich das abzugewöhnen, von Jungen aber nicht?
Und die vierunddreißigjährige Angela fügt hinzu:
Das Egoistischste, was ich in meiner Ehe je tat, war, in ein Heilbad zu fahren. »Wie kannst du dein Kind allein lassen ?« fragten manche meiner Freundinnen. »Wie kannst du für eine einzige Woche so viel Geld ausgeben ?« wollte meine Mutter wissen. Ich tat es dennoch, aber mein Entschluß, etwas für mich zu tun, was der Familie Unannehmlichkeiten bereiten könnte, war eine Riesenaffäre. Das war eine interessante Lektion: Du mußt darum kämpfen, zu bekommen, was du brauchst, selbst um Ruhe und Erholung. Das steht dir nicht selbstverständlich zu. Egoistisch war ich in zwei Fällen: als ich in das Heilbad fuhr und als ich mit Charlie ins Bett ging. Das waren aber die zwei Situationen in meinem Erwachsenenleben, in denen ich mich am besten gefühlt habe.
Und die vierzigjährige Carla, seit vierzehn Jahren verheiratet, sagt:
Wenn ich täte, was ich wirklich will, ich weiß nicht, ob meine Ehe dann noch bestehen würde. Ich stelle mir diese simple Frage: ob eine Frau wirklich tun kann, was sie will, und dabei verheiratet sein kann.
Die Frauen merken: Anpassung ist immer noch, obwohl sie »unehrlich« und destruktiv« ist und zur Stagnation, nicht zur Zufriedenheit schon ihrer Mütter führte, ein integraler »Bestandteil des Ehevertrags«. Sie würden kämpfen müssen, um sich aus diesem Klammergriff zu befreien. Wütend über die Mitwirkung der Frauen an der Perpetuierung des Donna-Reed-Modells, doch gleichzeitig selbst immer noch in dessen Bann, haben diese Frauen das Gefühl, einen Drahtseilakt zu vollbringen. Wenn sie sich der Selbstlosigkeit verschreiben, dann fühlen sie sich von einer Gesellschaft manipuliert, die immer noch von ihnen erwartet, brave Mädchen zu sein. Sie sind wütend, wenn sie spüren, daß sie sich diesem Vorbild und dieser Forderung beugen, wenn sie merken, daß ihre eigene Stimm* leiser wird und daß ihre eigenen Wünsche den Wünschen anderer weichen, als ob dieser Prozeß unausweichlich wäre.
Chris sagt:
Ich möchte nicht wie ein Selbsthilfebuch klingen, aber ich achte ganz bewußt darauf, meine Meinung zu sagen und ich selbst zu sein, denn wenn ich es nicht tue, wird es niemand tun. Vermutlich kann und sollte es auch niemand anderer tun. Aber es ist schon schwierig, das Pro und Kontra meiner eigenen Bedürfnisse nach Abhängigkeit und Unabhängigkeit abzuwägen.
Und Carla:
Ich habe etwas Neues begonnen. Jeden Tag tue ich etwas für mich selbst. Etwas, das mich freut. Egal, was. Das kann eine Kleinigkeit sein, etwa mir eine Lippenstift kaufen, aber es ist symbolisch. Wenn ich das nicht tue, dann fühle ich mich in Gefahr, niemals je wieder etwas für mich zu tun.
»Ich will kein Opfer sein«
Plötzlich liegt das Wort »Opfer« in der Luft; es taucht in jedem Interview etwa am gleichen Punkt auf und wirft ein Schlaglicht sowohl auf die Verachtung, die meine Gesprächspartnerinnen für die Frauen empfinden, die sich nie dagegen gewehrt haben, Donna Reed zu werden, als auch auf ihre Wut über ihre eigene Anfälligkeit für Donna Reed. Die Frauen, die miterlebten, wie ihre Mütter zu kämpfen hatten, um wieder einen Arbeitsplatz zu finden, oder wie sie von ihren Vätern schlecht behandelt wurden, oder wie sie nach der Auflösung ihrer Ehe neue Männer suchten, benutzten dieses Wort häufig in unseren Gesprächen. Die fünfundsechzigjährige Marcia sagt:
Schauen Sie, es ist nicht die Schuld meines Mannes. Er hat mich nie gebeten, auf meine Bedürfnisse zu verzichten. Ich war diejenige, die sagte, ich werde dein Rückhalt, deine Krankenschwester, deine Haushälterin sein — würden Sie ein solches Angebot ausschlagen, wenn Sie ein junger Mann wären? Es wäre richtig gewesen, kein solches Angebot zu machen, mich ihm nicht freiwillig als Opfer anzudienen. Ich darf nicht auf ihn wütend sein — freilich könnte ich es sofort, aber dann käme ich wirklich ins Schleudern.
Die zweiunddreißigjährige Vickie:
Manchmal höre ich, daß ich wie meine Mutter klinge, still verzweifelt, daß ich so tue, als sei meine Familie alles und ich hätte keine eigenen Bedürfnisse, daß ich in dieser braven Weise über meine Kinder und meine Rezepte rede..., und
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