Die heimliche Päpstin
leise Öffnen einer Tür ließ mich hochschrecken. Draußen frohlockten die Vögel, und die Sonne stand bereits über den Bäumen.
»Guten Morgen, schöne Griechin«, hörte ich eine heisere Stimme flöten. Es klang, als drehte sich eine rostige Tür in den Angeln.
Erschrocken wandte ich mich um: Anastasius stand vor mir. Der Höllenwärter.
»Was willst du? Wo ist Alberico? Ist mein Sohn gekommen?« Die flatternde Hektik meiner Stimme verriet mir, daß mich eine plötzliche Angst vor endgültiger Kerkerhaft und Dahinsiechen in Dunkelheit erfaßt hatte.
Anastasius verbeugte sich lächelnd. »Ich bin hier, um dich dorthin zu führen, wo deine Herrin bereits auf dich wartet.«
»Mein Sohn wollte sich von mir verabschieden.«
»Er schickte einen Boten, der uns ausrichten ließ, daß er deine Entscheidung, bei der senatrix zu bleiben, bedauert, aber akzeptiert. Heute im Lauf des Tages wird er Rom verlassen, um auf dem Seeweg nach Konstantinopel zu reisen. Er sendet dir die liebenden Grüße eines Sohnes. Falls du deine Entscheidung noch ändern solltest, kannst du ihn bis heute mittag am Großen Hafen erreichen.« Anastasius schien sich darüber zu freuen, mich weiterhin betreuen zu können. Als hätte er meine Gedanken erraten, fügte er an: »Ich glaube, wir werden noch viele gemeinsame Stunden verbringen und wie einst die Peripatetiker philosophieren.«
»Die Peripatetiker wanderten umher, wir werden in einem dunklen Rattenloch hausen«, korrigierte ich seine albernen Bemerkungen, als würde nichts anderes mein Herz beschweren.
»Ins Gespräch vertieft, schlenderten sie im Schatten der Schirmpinien, das ist richtig. Sie waren glücklich …«
»Warum will mir Alberico seine Entscheidung nicht noch einmal verkünden?«
»Princeps Alberich hat wichtige Staatsgeschäfte zu erledigen und später eine Audienz beim Heiligen Vater.«
»Ich soll also, ohne mich verabschieden zu können, im Kerker verschwinden.«
»Wenn ich richtig informiert bin, gehst du freiwillig dorthin.«
Er hatte recht. Ich hatte keinen Grund zu klagen. Da ich mich für Marozia entschieden hatte, war es vermutlich leichter, ohne trauerträchtige Abschiedszeremonien hinabzusteigen zu den Toten.
Anastasius lächelte mich noch immer an.
»Bist du eigentlich freiwillig oberster Kerkermeister?« fragte ich ihn, während ich meine Pergamentstapel zusammenrollte und mit einem Band umwickelte.
Sein Lächeln wurde von einem traurigen Ernst abgelöst. »Es gibt etwas, was mich an Marozias Mutter kettet. Ich berichtete dir einst davon.« Als ich nicht reagierte, fügte er an: »Mir wurde der bewundernswerte Wunsch mancher Frauen, Päpstin zu werden, zum Verhängnis.«
Ich verstand den Sinn seiner Worte nicht.
»Laß uns gehen«, sagte er. »Nimm deine Lebensgeschichte mit!« Er wies auf die dicke Pergamentrolle. »Du wirst genügend Zeit haben, sie zu vollenden.«
»Ich habe sie heute nacht vollendet.«
»Solange ihr lebt, kann es noch ein Nachwort geben.«
Ich drängte ihn zur Tür hinaus. Unsere Füße knirschten über einen Kiesweg. Ich warf einen letzten Blick auf unseren Palast, den schönsten der ganzen Stadt, der noch einmal versucht hatte, Baustil und Glanz des alten Rom wiederzubeleben. Ich sah allerdings, daß Alberico dabei war, einen fast fensterlosen Turm mitten in den Gebäudekomplex setzen zu lassen. Als wir das Vestibyl durchschritten und zum Portal kamen, zeigten sich weitere Veränderungen: Die Außenwände wurden verstärkt, die Fenster erhielten schwere Gitter, das Eichenportal selbst war mit breiten Eisen beschlagen worden: Unser Palast wurde zur Festung ausgebaut.
Alberico war nirgendwo zu sehen.
Am Torplatz stand ein Wagen, in dem eine breite Sänfte hing. Wir setzten uns hinein, Anastasius schloß die Vorhänge, der Kutscher ließ die Peitsche knallen.
Es dauerte eine Weile, bis wir die Engelsbrücke überquerten und vor der Festung der Päpste aussteigen mußten. Ich schaute über den Tiber, über die kleinen Boote, die Mühlen, das Getriebe der Menschen; ich schaute auf die fensterlose Wand des Gebäudes, in dem sich Aaron auf die Reise zu den Vätern vorbereitete. Das letzte, was ich von ihm gehört hatte, war, daß er gänzlich erblindet sei, aber noch gut höre und auch sprechen könne. Roms Juden verehrten ihn wie Erzvater Abraham. Was hätte ich um ein letztes Gespräch, ein letztes Lebewohl gegeben!
Ich ließ meinen Blick über den Tiber zurück nach Westen wandern: Hinter den eng sich drängelnden
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