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Die heimliche Päpstin

Die heimliche Päpstin

Titel: Die heimliche Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Berger
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saß den ganzen Tag dort, trank wenig, aß kaum etwas. Meist waren die Augen geschlossen. Als die Sonne unterging, beobachtete sie die Schatten der Zypressen, die auf den Grünflächen in die Länge wuchsen. Schließlich senkte sich die Nacht herab, Marozia seufzte, die Lider wurden schwer, und ihr Körper erschlaffte. Einen Augenblick dachte ich: Jetzt stirbt sie.
    Doch sie war nur eingenickt.
    Es dauerte Wochen, bis sie sich zum ersten Mal nach meinem Gespräch mit Alberico erkundigte, und sie zeigte sich nicht erstaunt über das Verhalten ihres zweiten Sohnes. »Ich habe ihn zu wenig geliebt und zu tief gekränkt.« Sie sagte es ohne Selbstmitleid in der Stimme. »Daran ist nun nichts mehr zu ändern.«
    Weitere Tage dauerte es, bis sie nach Alexandros fragte. Ich hatte kein Bedürfnis empfunden, über ihn zu sprechen, zu sehr schmerzte mich die Erinnerung an das unterkühlte Wiedersehen und seinen wortlosen Abschied. Versuchte ich, ihn mir vor Augen zu führen, sah ich Sergius vor mir, und dieses Bild gab mir einen Stich in den Unterleib, der mir den Atem nahm.
    Ich berichtete Marozia so sachlich wie möglich, was geschehen war: von Alexandros' Erfolg am kaiserlichen Hof und dem Kampf um das Familienerbe, von seinem unaufhörlichen Sehnen und Streben, uns erneut in die Arme zu schließen – obwohl dann, als wir am Ziel unserer Wünsche waren, die Entfremdung alle Freude, alles Glück überdeckte. Als ich erwähnte, daß er verheiratet sei und vier Kinder habe, bedeckte sie ihr Antlitz mit einem Tuch, und ich verstummte. Nach einer Weile forderte sie mich auf, meinen Bericht fortzusetzen, doch ich hatte ihn bereits beendet.
    Auf ihre Frage hin konnte ich nicht verschweigen, daß mich Alexandros quälend an Sergius erinnert habe. Ihre Miene erstarrte und blieb lange Zeit versteinert. Schließlich hauchte sie: »Warum bist du nicht bei ihm geblieben?«
    Statt ihr zu antworten, stellte ich eine Gegenfrage: »Glaubst du, daß du ihn wieder lieben könntest?«
    »Es wäre meine letzte Hoffnung gewesen.« Unerwartet lächelte sie: erinnerungsträchtig, verloren.
    »Du hast einmal behauptet, du hättest jede Nacht von ihm geträumt – stimmt das wirklich?«
    Vielleicht hätte ich die Frage nicht stellen sollen; ich wollte ihr weder die Illusion nehmen noch die Erinnerung trüben. Sie antwortete mir nicht, sondern wiederholte ihre Frage.
    Nach einem langen Blick sagte ich: »Ich wollte mein Versprechen dir gegenüber nicht brechen.«
    »Ich hätte dir verziehen, wenn du mich allein gelassen hättest – und dich auch verstanden, weil ich selbst wortbrüchig geworden wäre.«
    »Das glaube ich nicht.«
    In Wirklichkeit glaubte ich ihr doch. In diesem Punkt unterschieden wir uns. Das Leben hat Marozia zur Herrin gemacht und mich zur Sklavin. Aber eigentlich, so sagte ich mir, warst auch du eine Herrin: die Tochter von einem der reichsten Fernhändler Konstantinopels. Vielleicht hätte sich dir sogar die Möglichkeit eröffnet, byzantinische Kaiserin zu werden. Die Bräute der Kaiser werden nicht nach hoher Geburt ausgesucht, sondern nach Gaben des Geistes und der Gestalt: Sie sollen schön sein, klug, gebildet, gesund …
    Doch wenn nicht die Großmutter, so womöglich die Enkelin Aglaia …
    Ich sah ein lachendes Mädchen durch die kaiserlichen Gärten hinab zu den Gestaden des Marmarameers laufen, umsprungen von begeistert bellenden Hunden, vorbei an schreienden Pfauen, an schreitenden Ibissen und springenden Gazellen, vorbei an Seerosenteichen und Marmorbrunnen, ein Mädchen mit fliegenden Haaren, in weißen Seidengewändern, im Hintergrund die Sklaven, Palmenwedel schwenkend, die Eunuchen mit ihren ausdruckslosen Gesichtern …
    Ich sah Alexandros am Bug des Schiffes stehen, das ihn über das Tyrrhenische Meer trug, nach Hause, zu diesem Mädchen, zu seiner Tochter Aglaia. Da stand er im Wind, das Schiff durchpflügte die Meerenge von Messina und trieb hinaus auf das offene Meer, das mare nostrum , und schien bald darauf über dem gleißenden Silber der Ägäis zu schweben, begann sich im Mittagslicht aufzulösen, in der blendenden Helligkeit einer vergeblichen Hoffnung.
    Tage später kam Marozia unerwartet auf meine Frage zurück. »Ich habe tatsächlich häufig von Alexandros geträumt, sogar, als ich mit Wido verheiratet war. In ihm sah ich einen zweiten Alexandros und in dem Kind sein Kind. Als er starb und ich das Kind verlor, verlor ich Alexandros ein zweites Mal. Ich war innerlich tot, gefühllos,

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