Die heißen Kuesse der Revolution
Ja, ich bin Engländerin, und Sie sind Franzose. Aber ich bin stolz darauf, die Revolution in Ihrem Land zu unterstützen. Ich war ganz aufgeregt, als ich merkte, dass Sie ein Offizier der Revolutionsarmee sind.“
„Dann sind Sie also eine Radikale.“
„Ja.“ Sie ließen einander nicht aus den Augen. Sein Blick war nicht mehr so hart, doch sie fühlte sich immer noch seltsam unbehaglich. Es schien, als wolle er sie aus dem Gleichgewicht bringen, als sei sie einem entscheidenden Verhör ausgesetzt. „Hier in Penzance gibt es eine Gesellschaft der Friends of the People . Ich habe sie mitbegründet.“
Er lehnte sich zurück. Offenbar war er beeindruckt. „Sie sind eine ungewöhnliche Frau.“
Sie verstand es nicht als Kompliment. „Ich werde mich nicht durch mein Geschlecht benachteiligen lassen, Monsieur .“
„Das sehe ich. Sie sind also eine treue Sympathisantin der Jakobiner.“
Sie zögerte. War das ein Verhör? Aber konnte sie ihm seine Wissbegier vorwerfen? „Haben Sie geglaubt, Sie wären in einem Haus voller Feinde?“
Sein Lächeln wirkte unecht. Es erreichte seine Augen nicht. „Natürlich, das musste ich doch.“
Julianne zögerte. Sie hatte keine Ahnung gehabt, in welcher Bedrängnis er sich gewähnt hatte. Er hatte seine Gedanken und Empfindungen meisterhaft verborgen. „Sie sind hier unter Freunden. Ich bin Ihr Freund. In meinen Augen sind Sie ein großer Held der Revolution.“
Charles lupfte die Brauen. Sie wusste nun, dass die Anspannung von ihm wich. „Noch mehr vom Glück begünstigt könnte ich gar nicht sein. Dass ich mich ausgerechnet unter Ihrer Obhut wiederfinde.“ Plötzlich griff er nach ihrer Hand. „Bin ich zu direkt, Julianne?“
Sie erschrak. Er hatte sie noch nie bei ihrem Namen genannt, ja er hatte sie noch nicht einmal Miss Greystone genannt. Sie war immer nur „Mademoiselle“ gewesen. Sie widersprach nicht. „Nein.“
Er wusste, dass sie ihm damit eine Vertraulichkeit erlaubte und ihm womöglich die Tür für weitere Vertraulichkeiten öffnete.
Er hielt ihre Hand fest. Es war dunkel, es war spät und sie waren allein. „Ich hoffe sehr, dass Sie keine Angst vor mir haben“, sagte er sanft.
Langsam hob sie den Blick von ihren Händen, die einander umklammerten. „Warum sollte ich Angst vor Ihnen haben, Monsieur ?“
Charles hielt ihrem Blick stand. „Nun, Held oder nicht, ich bleibe ein Fremder für Sie, und wir sind allein.“
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Er starrte sie unverwandt an. „Ich genieße unsere Unterhaltung sehr, Monsieur “, erwiderte sie genauso sanft. „Wir haben vieles gemeinsam.“
„Ja, das haben wir“, sagte er erfreut, „und ich bin glücklich, dass Sie so von mir denken, Julianne.“
„Wie sollte ich denn sonst von Ihnen denken?“, fragte sie. Sie lächelte sanft. „Sie kämpfen für Gleichheit und Brüderlichkeit in Frankreich und für die Freiheit aller Menschen auf der ganzen Welt. Sie haben sich für eine große Sache in Lebensgefahr begeben. Sie wären tatsächlich beinahe für die Freiheit gestorben.“
Er ließ ihre Hand los. „Sie sind eine Romantikerin.“
„Aber es ist doch die Wahrheit.“
Charles musterte sie. „Bitte sagen Sie mir, was Ihnen alles durch den Kopf geht.“
Er sprach leise, aber wieder fordernd und streng. Julianne merkte, wie sie errötete. Sie ließ ihren Blick zu dem Tisch sinken, der zwischen ihnen stand. „Manche Gedanken sollte man lieber für sich behalten.“
„Ja, manche schon. Ich jedenfalls denke, dass ich großes Glück habe, mich in Ihrer Obhut zu befinden. Und zwar nicht, weil sie Jakobinerin sind.“
Sie riss den Kopf hoch und starrte ihn an.
„Als ich das erste Mal wieder zu mir kam, wusste ich noch, dass ich gerade von einer wunderschönen Frau geträumt hatte, mit rotbraunem Haar, die mich umsorgte, sich um mich kümmerte. Und dann sah ich Sie und begriff, dass es gar kein Traum war.“
„Bin ich zu aufdringlich? Ich bin daran gewöhnt, mich unverhohlen auszudrücken, Julianne. Im Kriege lernt man schnell, dass die Zeit kostbar ist und man keinen Augenblick verschwenden darf.“
„Nein. Sie sind nicht zu aufdringlich.“ Sie zitterte vor Aufregung. Er fühlte sich von ihr genauso angezogen wie sie von ihm. Amelia wäre entsetzt, wenn sie wüsste, was sich hier anbahnte. Ihre Brüder würden kochen vor Zorn.
„Denkt Ihre Schwester denn genauso über mich wie Sie?“
Sie war so verwirrt, dass sie für eine Sekunde glaubte, er wolle wissen, ob
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