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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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sich nicht gerne ein, aber sie war eifersüchtig. Piet redete ständig von dieser Frau. Anita hier, Anita da. Doch nachdem Piet ihr ein Foto von Anita gezeigt hatte, hatte sie sich wieder ein wenig beruhigt. Denn warum sollte Piet sie ausgerechnet mit solch einer klobigen und ziemlich hässlichen Frau betrügen? Nicht, dass sich Susann selbst für überwältigend attraktiv hielte, aber verglichen mit diesem Brocken von Weib war Susann ein Topmodel, fand sie. Und doch, eine gewisse Eifersucht blieb. Piet bekam regelrecht leuchtende Augen, wenn er von Anitas Unberechenbarkeit, ihrer Spontaneität, ihrer ausufernden Begeisterungsfähigkeit und Exzentrik schwärmte. Susann kam sich vor wie die langweiligste Spießerin der Welt, wenn er Anita anhimmelte. Das tat weh. Langweilte sich Piet mit ihr? Langweilte er sich in seinem Leben? War er deshalb jetzt nicht hier?

    Auch Dille fehlte bei dieser Feier. Er war in Holland. Trainieren.
    Bei seinem zweiten Besuch im Fitnessstudio hatte er einen Mann namens Fred kennengelernt, der für den Iron Man trainierte – und seitdem war nichts mehr, wie es war. Dille war fasziniert davon, wie jemand so sehr an seine Grenzen gehen konnte. Iron Man, das hieß 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und ein kompletter Marathonlauf über 42 Kilometer. Und zwar nicht über mehrere Tage oder Wochen verteilt, sondern direkt hintereinander! Am selben Tag! Ohne Mittagspause! Dille fand, das war die coolste Sache, von der er je gehört hatte. Er war mit Fred nach dem Training noch etwas trinken gegangen. Proteinshakes mit Obst. Dille hatte verstohlen den stählernen Oberkörper von Fred bewundert und sich vorgestellt, wie genial es sein musste, so sehr über sich hinauszuwachsen, etwas zu schaffen, wozu kaum jemand sonst auf der Welt fähig war. Und als Fred ihm dann erzählt hatte, dass er selbst bis vor zehn Jahren noch völlig unsportlich gewesen war, dass man sich mit Disziplin und Ausdauer zu Dingen pushen könne, die man sich nie erträumt hatte, hatte Dille zaghaft gefragt: »Ich auch?«
    Und Fred hatte genickt: »Ja, klar. Mit dem richtigen Training kannst du in zehn Monaten schon einen Halbmarathon laufen.«
    Dille hatte Fred angestarrt und dann gestrahlt. Er hatte jetzt offiziell einen Traum: Er wollte den Iron Man schaffen.
    Petra hatte es zuerst toll gefunden, dass Dille das Training so konsequent durchzog, dass er nicht nach ein paar Wochen wieder schlappmachte und sich, wie so oft, ein neues Hobby suchte. Das Endziel Iron Man nahm sie allerdings nicht ernst. So wie sie ihren Mann kannte, würde dieser irgendwann schon selbst erkennen, dass das zwei bis drei Nummern zu groß für ihn war. Aber wer weiß, vielleicht schaffte er es ja wirklich bis zum Halbmarathon. Sie hatte sich anfangs auch über seine körperlichen Veränderungen gefreut. Seinen Bauchmuskeln konnte man förmlich dabei zuschauen, wie sie immer härter wurden. Petra hatte das sexy gefunden. Doch dann begann die Sache aus dem Ruder zu laufen. Dille trainierte schon bald viermal die Woche, war noch seltener zu Hause als sonst, und wenn er tatsächlich mal nicht im Fitnessstudio oder auf irgendeiner Laufpiste war, dann redete er nur noch über Muskelaufbau und Eiweiß, Trainingszyklen und Atemtechniken. Seinen Sohn sah Dille manchmal nur wenige Minuten am Tag. Das war keine Fitness mehr, das war eine Obsession. Dille war besessen.
    Und deshalb feierte er jetzt auch nicht mit seinen Freunden und seiner Familie die Jahreswende, sondern war bei einer »Challenge Week« in irgendeinem holländischen Küstenkaff. Eine Woche exzessive Körperstählung und Ausdauertraining im Kreise anderer Sportfreaks, die lieber schwitzten und sich schunden, als zu feiern. Diese Sportwoche umfasste Baden im eiskalten Meer, Nachtläufe am Strand und vier Stunden Krafttraining pro Tag.
    Petra hatte sich im Internet schlaugemacht und herausgefunden, dass solche Macho-Exzesse gar nicht nötig waren, um sich auf einen Halbmarathon vorzubereiten. Es würde völlig reichen, wenn Dille seine Ernährung kontrollieren und zwei- bis dreimal die Woche zwei bis drei Stunden laufen würde. Doch solch profane Vorbereitungen waren Dille offenbar nicht dramatisch und männlich genug. Petra war stinksauer. Und zum ersten Mal, seit sie mit Dille zusammen war, dachte sie ernsthaft darüber nach, sich von ihm zu trennen. Er war einfach ein Egoist. Er war ein Idiot. Er war ein großes Kind. Doch Petra wollte kein Kind mehr. Sie wollte endlich einen Mann!

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