Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
merkwürdig leicht wurde. Die Gedanken flogen davon, bevor sie sie festhalten konnte. Die Musik und das Gelächter der Männer am Tresen verschwammen zu einem einzigen hallenden Brummen. Konnte das die Wirkung des Alkohols sein? Aber so viel hatte sie doch gar nicht getrunken ... Egal, sie fühlte sich frei, ein Lächelnbreitete sich in ihrem Gesicht aus. Während sie mit den Füßen den Takt der Fiedel mitschlug, trank sie weiter an ihrem Bier.
Der Mann in der schwarzen Kutte stand draußen und beobachtete sie durch einen Schlitz zwischen den Fensterläden. Er würde warten müssen, bis das Bilsenkraut zu wirken begann. Aber irgendwann musste dieses Weibsbild ja herauskommen, und dann würde sie sicher Hilfe brauchen. Ein hilfsbereiter Mann, der einer betrunkenen Magd nach Hause half, wer sollte da groß Verdacht schöpfen? Wie war noch einmal der Name des Mädchens gewesen?
Magdalena.
Ein Zittern ging durch seinen Körper, das er sich selbst nicht erklären konnte.
Jakob Kuisl liebte die Stille, und nichts war so still wie ein Winterabend, wenn es den ganzen Tag geschneit hatte. Man hatte das Gefühl, dass sämtliche Geräusche vom Schnee geschluckt wurden. Übrig blieb eine Leere, die sich auch auf den Kopf übertrug. Keine Gedanken, kein Grübeln und Forschen, einfach nur da sein. Manchmal wünschte sich Jakob Kuisl, ein ewiger Winter möge sich über die Welt legen, und all das Geplapper und Getratsche hätte endlich ein Ende.
Er marschierte auf der verschneiten Allee auf Altenstadt zu, von fern waren die Glockenschläge der Basilika zu hören. Der Henker war auf der Suche nach seiner Tochter. Seit dem frühen Morgen war sie verschwunden, und jetzt ging es bereits auf den Nachmittag zu. Dabei hatte Magdalena ihrer Mutter versprochen, beim Flicken der alten Gewänder und Leinentücher zu helfen. Immer wieder war Anna Maria Kuisl während des Tages vor die Tür gegangen und hatte nach ihrer Tochter Ausschau gehalten. Das anfängliche Schimpfen war immer mehr in ein besorgtes Schweigen übergegangen. Als der Henker seiner Frau schließlich beichtete,dass er Magdalena nach Altenstadt geschickt hatte, um dort für ihn etwas nachzufragen, hatte sie ihn hochkant rausgeschmissen. Die Worte, die sie ihm noch hinterhergeworfen hatte, waren unmissverständlich gewesen: Nur gemeinsam mit Magdalena durfte Jakob Kuisl sein Haus wieder betreten.
Der Henker liebte seine Frau, er respektierte sie; manche behaupteten sogar, er fürchte sie. Was natürlich Unsinn war, denn ein Henker fürchtete nichts und niemanden, am wenigsten seine Frau. Aber Jakob Kuisl hatte gelernt, dass Widerworte unsinnig waren und nur dazu führten, dass die so heißersehnte Stille in seinem Haus nicht einkehrte. Also machte er sich eben auf die Suche nach Magdalena.
Als er in Altenstadt ankam, ertönte Musik aus dem einzigen Gasthaus des Ortes. Die Fenster des Strasser-Wirts leuchteten warm; Gelächter, das Stampfen von Füßen und der Klang einer verstimmten Fiedel waren zu hören. Jakob Kuisl näherte sich einem der Fenster, um durch einen Schlitz nach innen zu blicken.
Was er sah, ließ ihn erstarren.
Auf einem Tisch in der Mitte tanzten einige Burschen und grölten ein derbes Bauernlied. Ein Kreis von Zuschauern hatte sich darum gebildet und prostete ihnen lachend zu. Zwischen den Burschen auf dem Tisch tanzte ein Mädchen und reckte die Arme anzüglich in die Höhe. Es hatte den Kopf nach hinten geneigt und ließ sich gerade von einem der Burschen Bier aus einem riesigen Humpen einflößen.
Es war Magdalena.
Ihre Augen waren seltsam verdreht. Ein Geselle griff lüstern nach ihrem Rock, ein weiterer zupfte an den Schnüren ihres Mieders.
Jakob Kuisl trat die Tür mit dem Fuß auf, so dass sie krachend nach innen schwang. Dann stürmte er wie ein Rammbock auf die Gruppe zu. Einen der verdutzten Burschen zog er vom Tisch und schleuderte ihn in Richtung der Zuschauer,wo er mit dem Kopf voran in einen Hocker rutschte, der splitternd zerbrach. Ein zweiter Geselle ließ in einem Abwehrreflex seinen Humpen auf den Henker niederrauschen. Ein schwerer Fehler, wie er gleich einsehen musste. Kuisl zog ihm am Arm zu sich herunter, verpasste ihm eine Maulschelle und schubste ihn auf zwei weitere Männer zu, so dass alle drei in einem Gewirr aus Armen und Beinen zu Boden glitten. Der Humpen zersplitterte am Boden, und eine Lache Bier breitete sich zwischen den Beinen der erstarrten Zuschauer aus.
Jakob Kuisl ergriff seine Tochter wie einen
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