Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
jede Ruine, jedes Versteck. Drei mögliche Unterschlupfe hatten sie heute bereits aufgesucht, jetzt beim vierten schienen sie Glück zu haben. Jakob Kuisl hatte von Anfang an geahnt, dass er hier bei den Schleyerfällen fündig werden würde.
Der Rauch kam aus einer Felsspalte in der Nähe des Abhangs. Der Henker wusste, dass sich dort unten große Kalkformationen befanden, durch die sich das Wasser über Jahrtausende hindurchgefressen hatte. Die Folge waren weitverzweigte Höhlen, deren Eingänge sich oft hinter Wasserfällen verbargen. Hier bei den Schleyerfällen floss das Wasser im Sommer über grünes Moos hinunter in die Ammer. Jetzt im Winter hingen die Eiszapfen wie ein weißer Vorhang über den Eingängen.
Jakob Kuisl beugte sich nach unten und sog den Rauchein. Er roch gebratenes Fleisch und verbranntes Fett. Die Rauchsäule vor ihm musste von einem größeren Lagerfeuer stammen, sie zog über einen natürlichen Kamin zu ihnen herauf.
»Henker, was ist los, warum ...«
Mit einer raschen Handbewegung bedeutete Kuisl dem Bäckerssohn zu schweigen. Dann zeigte er auf den Rauchfaden und auf einen schmalen Trampelpfad dreißig Schritt vor ihnen, der nach unten in die Schlucht führte. Gerade wollte er weitergehen, als er ein paar eiserne Sprossen entdeckte, die direkt neben ihm an der Felswand in die Tiefe führten.
»Ihr Fluchtweg«, flüsterte er. »Wir müssen uns aufteilen. « Er deutete auf Jakob Schreevogl. »Ihr nehmt den größten Teil der Männer und geht den Pfad hinunter. Ich werde mit ein paar wenigen Leuten die Sprossen hinunterklettern. Nicht dass sie uns wie die Ratten durch dieses Schlupfloch entwischen.«
Aus einem Sack, den er bislang über der Schulter getragen hatte, holte er Fackeln und verteilte sie an Andre Wiedemann und Georg Kronauer. »Wir werden sie von hinten ausräuchern«, sagte er zu den Anderen. »Ihr wartet vor dem Eingang. Wenn sie rauskommen, nehmt so viele wie möglich gefangen. Wer sich wehrt, den haut ihr nieder.«
Der alte Kriegsveteran Andre Wiedemann knurrte beifällig. Hans Berchtholdts Gesicht wurde derweil blass.
»Sollten nicht ein paar von uns hier oben warten, nur für den Fall, dass euch jemand entkommt?«, stammelte er. Auch Sebastian Semer wirkte plötzlich nicht mehr so vorlaut wie noch gerade eben. Ängstlich sah er sich nach allen Seiten um. Von irgendwoher ertönte der Ruf eines Käuzchens.
»Schmarren«, sagte Kuisl und stopfte die beiden frisch geölten Radschlosspistolen mit Pulver, während er weiter an seiner kalten Pfeife kaute. »Wir brauchen unten jeden Mann. Und jetzt ab mit euch.«
Er nickte Jakob Schreevogl noch einmal zu, dann steckte er die beiden Pistolen in den Gürtel und kletterte mit Wiedemann, dem Schmied Kronauer und zwei weiteren Handwerkern hinunter in die Tiefe. Die Muskete baumelte geladen über seiner Schulter. Kurz überlegte er, ob es nicht besser gewesen wäre, die beiden Patriziersöhnchen oben zu lassen. Möglich, dass sie in ihrer Angst etwas Unüberlegtes taten und sie so verrieten. Doch dann dachte er an ihre funkelnden Säbel, feschen Hüte und blitzblanken Gewehre. Unwillkürlich musste er grinsen.
Sie wollten Krieg spielen, nun sollten sie ihn auch wirklich erleben.
Magdalena kam es vor, als würde sie schweben. Sie stand ganz vorne auf dem Floß und sah das Wasser links und rechts an den roh behauenen Stämmen vorbeirauschen. Gelegentlich stieß das Floß an zersplitterte Eisschollen und abgebrochene Eiszapfen, die in kleinen Strudeln im Lech versanken. Steile Hänge, an deren Saum verschneite Buchen standen, zogen an beiden Seiten des Flusses an ihr vorüber; das Gelächter und die Befehle der Flößer tönten wie ein endloses Lied. Weiter unten verließ der Lech die enge Schlucht und wand sich durch eine weiße Landschaft, in der als dunkle Flecken immer wieder Weiler und kleine Wäldchen auftauchten.
Magdalena sah nach links. Am Ufer erschien nun das kleine Städtchen Landsberg mit seinen trutzigen Festungsmauern und Türmen, die während des Großen Krieges teilweise geschleift worden waren. Die Henkerstochter wusste aus Erzählungen, dass die Stadt noch weit mehr als Schongau unter den Soldaten zu leiden gehabt hatte. Viele Landsberger Mädchen waren aus Angst vor einer Vergewaltigung von den Wehrtürmen in den Lech gesprungen und dort ertrunken. Magdalena fiel ein, dass auch Benedikta aus dieser Stadt kam. Die Gedanken an den Krieg und die Nebenbuhlerinlegten sich plötzlich wie ein grauer Schleier
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