Die Henkerstochter
drehte sie ihr Gesicht beiseite, weg von den Söldnern. Sie sollten sie nicht weinen sehen.
Die beiden Männer standen am Rand der Baustelle und sahen den Handwerkern bei der Arbeit zu. Einige der Maurer und Zimmerer winkten ihnen zu. Vielleicht wunderten sie sich ein wenig, was die Männer hier zu suchen hatten, aber sie hatten nicht den geringsten Verdacht. Die beiden dort am Rand waren respektable Bürger. Wahrscheinlich wollten sie sich nur einen Überblick über die Bauarbeiten verschaffen.
Von den Zerstörungen der letzten Tage war kaum noch etwas zu sehen. Die Mauern des Siechenhauses wurden gerade erneut hochgezogen, auf dem Fundament der Kapelle thronte ein frischer Dachstuhl. Zwei Büttel saßen auf dem Brunnenrand in der Mitte der Rodung und vertrieben sich die Zeit mit Würfeln. Der Gerichtsschreiber hatte angeordnet, das Gelände rund um die Uhr zu bewachen. Und seine Anweisungen waren wie immer sehr gründlich gewesen. Für die Büttel hatte man extra einen Bretterverschlag gezimmert, in den sie sich bei Regen zurückziehen konnten. Laternen hingen an Haken an der Außenwand des Verschlags, daneben lehnten zwei Hellebarden.
»Und ihr habt wirklich alles abgesucht?«, fragte jetzt der ältere Mann.
Der jüngere nickte. »Alles. Sogar mehrmals. Ich weiß wirklich nicht, wo wir noch suchen könnten. Aber er muss hier irgendwo sein!«
Der andere Mann zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat der alte Geizhals gelogen. Vielleicht hat er auf dem Totenbettnur noch wild vor sich hingefaselt. Der Fiebertraum eines alten Mannes, und wir sind darauf reingefallen...«
Er stöhnte auf und hielt sich die Seite. Kurz musste er sich vornüberkrümmen, dann schien der Schmerz nachzulassen. Er wandte sich zum Gehen.
»So oder so, die Sache ist vorbei.«
»Vorbei?« Der jüngere rannte ihm hinterher, fasste ihn hart an der Schulter und drehte ihn zu sich um. »Was heißt vorbei? Wir können weitersuchen. Ich habe die Söldner noch nicht ganz ausgezahlt. Für ein paar Gulden mehr machen sie alles dem Erdboden gleich und wühlen wie die Schweine. Der Schatz ist hier irgendwo! Ich ... ich spüre es! «
»Verdammt, es ist vorbei!« Der ältere Mann schob die Hand des jüngeren fast angewidert von seiner Schulter. »Das Gelände wird bewacht. Außerdem – du hast schon genug Staub aufgewirbelt. Der Lechner weiß von deinen Söldnern. Und der Henker und dieser Fronwieser sind dir auf den Fersen. Die schnüffeln überall herum. Sogar beim Pfarrer waren sie schon! Wir riskieren zu viel. Die Sache ist vorbei, ein für alle Mal! «
»Aber ... « Der jüngere hielt ihn ein zweites Mal fest.
Der ältere Mann schüttelte unwillig den Kopf und hielt sich ein weiteres Mal die Seite. Er stöhnte laut auf.
»Ich habe jetzt genug andere Dinge um die Ohren. Wegen deinen Söldnern haben wir morgen den Grafen mit seinen Männern in der Stadt. Und wahrscheinlich wird es zu einem großen Prozess kommen. Die Scheiterhaufen werden wieder brennen, Schongau geht vor die Hunde. Und alles wegen dir, du verdammter Trottel! Ich schäme mich. Für dich und für unsere Familie. Und jetzt lass mich los. Ich möchte gehen.«
Der ältere Mann stapfte davon und ließ den jüngeren im Dreck der Baustelle stehen. Schlamm quoll um seine polierten Lederstiefel. Er würde nicht aufgeben! Er würde es dem anderen zeigen. Eine Welle von Wut überschwemmte ihn.
Als einige der Bauarbeiter zu ihm hinüberwinkten, winkte er zurück. Sie sahen nicht sein Gesicht, das von Hass wie versteinert wirkte.
14
Montag,
den 30. April Anno Domini 1659,
2 Uhr nachmittags
S imon rannte mit Anna Maria Kuisl die Hennengasse hinunter zum Lechtor und weiter durchs Gerberviertel. Die Nachricht, dass Magdalena etwas zugestoßen sein könnte, verlieh ihm eine Schnelligkeit, die er von sich noch nicht kannte. Schon bald hatte er die Henkersfrau hinter sich gelassen. Sein Herz raste, in seinem Mund sammelte sich ein metallener Geschmack. Trotzdem hielt er nicht an, bevor er nicht das Haus des Henkers erreicht hatte. Es lag da in der schönsten Mittagssonne, ein paar Finken zwitscherten in den Apfelbäumen im Garten, von fern drangen die Rufe der Flößer herüber. Ansonsten herrschte Stille. Die Bank vor dem Haus war leer, die Tür zur Stube stand sperrangelweit offen. Unter einem der Apfelbäume hing eine leere Schaukel, die sachte im Wind wippte.
»Mein Gott, die Kinder!« Anna Maria Kuisl hatte Simon mittlerweile eingeholt. »Nicht auch noch die Kinder ...
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