Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
würde Maddox ablenken müssen, ihn vielleicht irgendwie bewusstlos schlagen und dann weglaufen. Aus der Burg und den Hügel hinunter. Die Kälte und die Stimmen waren besser als die tödliche Bedrohung hier drinnen.
Also gut: Wie sollte sie den Mann ablenken? Während sie darüber nachgrübelte, vernaschte sie die restlichen Weintrauben. Als sie sie aufgegessen hatte, widmete sie sich dem Fleisch und dem Käse. Zwischen den einzelnen Bissen trank sie schlückchenweise den Wein. Nach wenigen Minuten waren nur noch ein paar Krümel und eine halbleere Weinflasche übrig. Noch nie hatte etwas so köstlich geschmeckt. Der Schinken war von einer braunen Zuckerglasur überzogen gewesen, ein Fest für ihre Geschmacksknospen. Der angenehm milde Käse hatte perfekt mit den Weintrauben harmoniert. Dazu der exzellente Wein …
Gut, sie musste zugeben, dass dieser Ort auch seine Vorzüge hatte.
Trotzdem – Essen war nicht Grund genug, um zu bleiben. Was ist mit Sex? Natürlich nicht, dachte sie, während es in ihrem Magen schon wieder so sonderbar kribbelte. Das war …
Alles in ihr ging in Alarmstellung. Es fühlte sich an wie die Ruhe vor einem entkräftenden Sturm. Sie hatte zwar keine Schmerzen, aber irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Eine Sekunde verstrich. Dann noch eine. Sie schluckte und wartete.
Dann brach der Sturm los.
Ihr gefror das Blut in den Adern, und zugleich traten ihr Schweißtropfen auf die Stirn, die so scharf waren wie zerbrochenes Glas. Sie krabbelten über ihren Körper wie Spinnen. Sie schrie auf und versuchte, sie wegzuwischen. Aber sie gingen nicht weg, und jetzt konnte sie sie sogar sehen. Sie waren auf ihr, auf ihr und huschten blitzschnell hin und her. Ein Schrei stieg ihr in der Kehle auf, doch im selben Moment wurde sie von einem unbeschreiblichen Schwindel erfasst, sodass sie nur noch schwach stöhnen konnte. Sie musste sich am Fenster festhalten, um nicht umzukippen. Das Tablett fiel scheppernd zu Boden.
Dann verwandelte sich der Schwindel in einen Schmerz und der Schmerz in ein scharfes Messer, das ihren Körper vom Bauch bis zum Herzen aufschlitzte. Sie schwankte, keuchte und stöhnte. Helle Lichter blitzten vor ihren Augen auf, ein riesiges Spektrum an grellen Farben.
Was war mit ihr los? Gift? Oh Gott, waren die Spinnen noch da?
Beim nächsten Schmerz krümmte sie sich nach vorn. „Maddox“, wisperte sie.
Nichts. Keine Schritte.
„Maddox!“, schrie sie jetzt mit letzter Kraft. Sie wollte zur Tür gehen, konnte sich jedoch nicht bewegen.
Wieder nichts.
„Maddox!“ Warum rufst du ihn? Er könnte dir das schließlich angetan haben. „Maddox.“ Sie konnte nicht aufhören, seinen Namen zu sagen. „Maddox.“
Schwarze Spinnweben trübten ihre Sicht und hüllten den viel zu hellen Regenbogen ein. „Maddox.“ Ihre Stimme war jetzt ein heiseres Flüstern, ein zitterndes Flehen.
Ihr Magen verkrampfte sich; ihre Kehle schwoll an. Plötzlich bekam sie keine Luft mehr. Jede Faser ihres Körpers schrie und schrie und schrie. Ich brauche Luft. Ich muss atmen. Sie konnte ihr Gewicht nicht länger tragen und stürzte. Ich muss die Spinnen loswerden. Keine Kraft, keine Energie.
Wie aus Mitleid fiel auch die Weinflasche um, und die rote Flüssigkeit ergoss sich neben ihr auf den Boden. Vor ihren Augen verschwamm alles, die Welt zerfiel in winzige Stücke. Dann sah sie nichts mehr. Nur noch Dunkelheit.
Maddox traute seinen Augen nicht. „Das ist … das ist … unmöglich.“ Er rieb sich die Augen, doch das Bild veränderte sich nicht.
„Anscheinend war es gar nicht Ashlyn, die ich gerochen habe.“ Reyes rammte seine Faust in die Wand. Staub wirbelte auf, und kleine Felsstückchen bröckelten ab.
Torin lachte nur.
Paris atmete ehrfürchtig ein. „Kommt zu Daddy.“
Dort, in der Ecke von Luciens Schlafzimmer, saßen vier Frauen. Sie hielten sich an den Händen und hatten sich zusammengekauert, um einander Kraft zu geben. Sie alle zitterten vor Angst und starrten die Männer mit großen, angsterfüllten Augen an.
Nein, bemerkte Maddox. Nicht alle zitterten. Eine hübsche Blondine mit Sommersprossen und grünen Augen sah sie zornig an. Sie biss die Zähne fest zusammen, als müsse sie verhindern, ihnen unanständige Dinge an den Kopf zu werfen.
„Was machen die denn hier?“, wollte er wissen.
„Das musst du gerade fragen“, fauchte Aeron. „Du hast doch angefangen, mit deinem hübschen Köder.“
Mit einem leisen Knurren in der Kehle trat Maddox dicht an Aeron heran.
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