Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
wussten, dass Ashlyn dabei wäre, und welche Wirkung sie auf mich hätte.“
„Aber du hast die Götter erst verflucht, nachdem sie Aeron zu sich gerufen haben. Und du hattest sie noch nicht verflucht, als ich Ashlyn zum ersten Mal auf meinen Bildschirmen gesehen habe“, stellte Torin klar. „Sie konnten nicht wissen, was wir später tun und sagen würden.“
„Sicher? Vielleicht haben sie sie nicht geschickt, aber sie müssen sie in irgendeiner Form benutzen.“ Das war die einzige Erklärung für die starken Gefühle, die er für Ashlyn hegte. „Ich kümmere mich um sie“, fügte er düster hinzu, doch jeder Muskel in seinem Körper verspannte sich und flehte ihn an, seine Worte zurückzunehmen. Er tat es nicht. „Ich werde mich um sie alle kümmern.“
Paris sah ihn stirnrunzelnd an. „Und wie?“
Grimmig antwortete er: „Ich werde sie umbringen.“ Er hatte schon Schlimmeres getan. Warum die Liste seiner Sünden nicht noch ein bisschen verlängern? Weil ich keine Bestie bin. Wenn er es tat, würde er voll und ganz zu Gewalt. Dann wäre er nicht einen Deut besser als der Dämon in ihm, der nur aus einem einzigen Grund existierte: um Schmerz zu verursachen.
Dennoch war er es, der diese Plage über ihr Zuhause gebracht hatte; also musste er es auch wiedergutmachen. Aber könnte er Ashlyn überhaupt umbringen? Er wollte die Antwort gar nicht wissen.
„Du kannst die vier in Luciens Zimmer nicht umbringen“, entgegnete Aeron genauso grimmig. „Die Titanen haben mir befohlen, es zu tun. Wer weiß, wie sie reagieren, wenn wir ihre Befehle nicht exakt ausführen.“
„Ich kann euch hören, ihr kranken Bastarde“, drang eine Frauenstimme durch die Tür. „Wenn ihr uns umbringen wollt, werde ich vorher jeden einzelnen von euch töten, das schwöre ich bei Gott.“
Einen Moment lang standen die Männer stumm und reglos da.
Dann verzog sich Reyes’ Mund zu einem trockenen Grinsen. „Ein unmögliches Unterfangen, aber ich würde gern sehen, wie sie es versucht.“
Fäuste trommelten von innen gegen die Tür. „Lasst uns frei! Lasst uns frei, hört ihr mich?“
„Wir hören dich, Frau“, antwortete Reyes. „Und ich bin sicher, die Toten hören dich auch.“
Dass Reyes, der ernsthafteste der ganzen Truppe, einen Witz gerissen hatte, war beunruhigend. Für gewöhnlich gebrauchte er seinen Humor nur, wenn die Umstände hoffnungslos waren.
Maddox fühlte sich wie in einem Albtraum. Nach Jahrhunderten stoischer Routine musste er plötzlich eine Frau befragen und anschließend töten, ehe man sie weiter gegen ihn einsetzen konnte. Er musste einen Freund vor der Ausführung eines grauenvollen Befehls bewahren. Und er musste die Götter beschwichtigen. Götter, von denen er noch nicht mal wusste, wie er mit ihnen umgehen sollte.
Die Titanen waren unbekannte Größen. Wenn er sie um Gnade bat und sie ihm ebenfalls einen abscheulichen Auftrag erteilten – einen, den er am Ende nicht ausführen wollte –, würde sich die Situation höchstwahrscheinlich noch verschlimmern.
„Warum berühre ich sie nicht einfach?“, schlug Torin vor, der sich der Gruppe wieder zugewandt hatte. Seine Augen waren von demselben strahlenden Grün wie die des tapferen Mädchens in Luciens Zimmer. Nur waren ihre mit Wut gefüllt gewesen, und in seinen lag Verzweiflung. „Wenn sie an einer Krankheit sterben, braucht niemand ein schlechtes Gewissen zu haben.“ Außer ihm.
„Nein“, lehnte Aeron entschieden ab, und im selben Augenblick schrie Paris: „Nein, zum Teufel!“
„Keine Krankheit“, pflichtete Lucien ihm bei. „Wenn sie erst ausgebrochen ist, lässt sie sich unmöglich kontrollieren.“
„Wir stecken sie in Quarantäne“, schlug Torin vor.
Lucien seufzte. „Das würde nicht funktionieren, und du weißt es. Krankheiten breiten sich immer aus.“
„Krankheiten?“, rief das Mädchen durch die Tür. „Ihr wollt uns mit einer Krankheit infizieren? Habt ihr uns deshalb hergebracht? Ihr widerwärtigen, abscheulichen, ekelhaften Monster …“
„Shhhh“, ertönte eine andere Stimme. „Provozier sie nicht, Dani.“
„Aber Grandma, sie …“
Die Stimmen wurden leiser, bis sie nicht mehr zu hören waren. Wahrscheinlich hatte jemand das Mädchen von der Tür weggezogen. Ihr Mut imponierte Maddox. Das erinnerte ihn an Ashlyn. Wie sie im Kerker stur geblieben war und von ihm verlangt hatte, sein T-Shirt anzuheben. Sie hatte weglaufen wollen – das hatte er in ihren Augen gesehen –, es aber nicht
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