Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
durchgeknallten Männerhaufen vielleicht mal für ein paar Stunden vergessen.“ Mit diesen Worten verschwand er ebenfalls.
Reyes blieb stumm. Er zog nur ein Messer aus der Scheide und stürmte den Flur hinunter. Damit war klar, was er zu tun gedachte. Maddox hätte ihm gern angeboten, dass er ihn mit dem Messer verletzen, ihn auspeitschen oder verprügeln könnte, um Reyes die quälende Selbstverstümmelung zu ersparen, doch er hatte ihm dieses Angebot bereits in der Vergangenheit gemacht und jedes Mal war die Antwort ein ruppiges Nein gewesen.
Er konnte verstehen, dass Reyes es selbst tun musste. Anderen zur Last zu fallen war fast genauso schlimm wie besessen zu sein. Sie alle hatten schließlich ihr Päckchen – oder besser: ihren Dämon – zu tragen, und Reyes wollte niemandem noch mehr zumuten.
Im Augenblick, allerdings, hätte Maddox die Ablenkung willkommen geheißen.
„Bis später, ihr Versager“, verabschiedete sich Paris. „Ich gehe zurück in die Stadt.“ Feine Fältchen der Anspannung umrahmten seine Augen – Augen, die nicht vor Befriedigung leuchteten, sondern dunkelblau und trüb aussahen. „Ich hatte weder gestern Abend noch heute Morgen eine Frau. Dieser ganze Mist hier“, er machte eine Geste in Richtung Tür, „hat meinen Zeitplan vollkommen durcheinandergebracht. Ich bin echt gefickt –, und das meine ich leider nicht wörtlich.“
„Geh schon“, meinte Lucien.
Der Krieger zögerte und warf einen Blick zur Tür. „Außer natürlich, du lässt mich in dein Schlafzimmer …“
„Geh.“ Lucien winkte ungeduldig.
„Ihr Pech.“ Paris zuckte mit den Schultern und ver schwand um die Ecke.
Eigentlich hätte Maddox Lucien anbieten sollen, die Frauen zu bewachen. Schließlich war vermutlich er für das alles verantwortlich. Aber er musste Ashlyn sehen. Nein, er musste nicht, er wollte es. Das klang besser. Er musste überhaupt nichts. Und schon gar nicht einen Menschen mit fragwürdigen Motiven sehen, der bereits zum Tode verurteilt war.
Da er nicht wusste, was die Titanen als Nächstes vorhatten, wollte er keine Zeit verlieren. Er würde zu Ashlyn gehen, obwohl er den Dämon noch nicht vollständig im Griff hatte. Andererseits wäre er wohl niemals besonders ausgeglichen, wenn es um diese Frau ging. Und es war besser, seine Pläne mit ihr jetzt in die Tat umzusetzen, ehe er gezwungen war, sie umzu… Er konnte das Wort nicht zu Ende denken.
„Lucien“, begann er.
„Geh“, sagte sein Freund wieder. „Tu, was immer erforderlich ist, damit du dich wieder in den Griff kriegst. Um deine Frau …“
„Ashlyn steht hier nicht zur Debatte“, unterbrach er Lucien. Er wusste ohnehin, was er sagen wollte. Um deine Frau müssen wir uns so schnell wie möglich kümmern. Das wusste er selbst.
„Du musst sie irgendwie aus dem Kopf bekommen und dann tu, was nötig ist, damit sich wenigstens ein Teil unseres Lebens wieder normalisiert.“
Maddox nickte. Während er sich umdrehte, fragte er sich, ob sein normales Leben es wert war, zurückzukehren.
8. KAPITEL
M addox betrat sein Zimmer, ohne zu wissen, was ihn dort erwartete. Eine schlafende Ashlyn? Eine frisch gebadete, nackte Ashlyn? Eine kampfbereite Ashlyn?
Eine lüsterne Ashlyn?
Irritiert stellte er fest, dass sein Herz unregelmäßig schlug. Seine Handflächen waren feucht. Idiot, beschimpfte er sich selbst. Er war weder ein Mensch, ein Diener der Angst, noch war er unerfahren. Und trotzdem wusste er nicht genau, wie er mit dieser Frau … mit dieser Strafe umgehen sollte.
Womit er nicht gerechnet hatte, war eine bewusstlose Ashlyn, die auf dem Boden in einer dunkelroten Pfütze – Blut? – lag, die ihre Haare und Kleidung tränkte.
Dunkelheit breitete sich in ihm aus. „Ashlyn?“ Im nächsten Moment kniete er neben ihr und nahm sie vorsichtig auf den Arm. Wein, es war bloß Wein. Den Göttern sei Dank. Kleine Tropfen fielen auf ihr blasses Gesicht und dann weiter auf ihn. Fast musste er lächeln. Wie viel hatte sie wohl getrunken?
Sie war so leicht, dass er sie nicht gespürt hätte, wäre da nicht dieses elektrische Kribbeln gewesen, das von ihrer Haut auf seine übersprang. „Ashlyn, wach auf.“
Keine Reaktion. Im Gegenteil, es schien, als gleite sie immer tiefer in die Bewusstlosigkeit. Die Bewegung ihrer Augen ließ nach.
Seine Kehle war wie zugeschnürt, und er musste die nächsten Worte förmlich herauspressen. „Wach auf, für mich.“
Kein Stöhnen, kein Seufzen.
Von ihrer Reglosigkeit beunruhigt,
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