Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
war ihr ganzes Leben auf der Suche gewesen, aber es hatte einen besessenen Unsterblichen gebraucht, damit sie von dem ruhigen, lusterfüllten Himmel auf Erden probieren konnte.
„Besser?“, wiederholte er.
„Viel besser.“ Sie gähnte. Warm, sicher und sauber. Der Schmerz war fast abgeklungen, und allmählich legte sich die Erschöpfung über sie. Ihr fielen die Augen zu. Unter größter Anstrengung öffnete sie sie wieder. Sie war nicht bereit, die kostbaren Momente mit Maddox zu vergeuden.
„Wir müssen noch über so vieles reden“, meinte er.
Er klang weit weg, und sie kämpfte, um die bleierne Müdigkeit zu vertreiben, die sie erfasst hatte. „Ich weiß.“
Antwortete er? Sie hörte nichts. Sie sank immer tiefer und tiefer. Sanft küsste er ihre Wange. Seine Lippen waren zugleich fest und weich, und bei der flüchtigen Berührung entbrannte ein Feuer zwischen ihnen. Mach die Augen auf, Darrow. Vielleicht küsst er dich dann auf den Mund. Sie versuchte es. Versuchte es wirklich mit aller Kraft. Doch obwohl der Geist willig war, blieb der Körper schwach.
„Wir reden später“, säuselte Maddox. „Schlaf jetzt.“
„Bleibst du bei mir?“ Wieso brauche ich ihn nur so sehr? Ich kenne ihn doch noch nicht mal einen Tag.
„Ja. Und jetzt tu mir den Gefallen und schlaf.“
Da sie ohnehin nicht anders konnte, gehorchte sie.
„Ich habe sie gesehen“, erzählte Aeron den anderen finster. „Maddox hat sie nicht alle erwischt, und Paris und Reyes müssen sie bei ihrer Suche übersehen haben. Es haben sich noch mehr Jäger in der Stadt versammelt. Ich glaube, ich habe einen von ihnen ‚heute Abend‘ sagen gehört, aber ich war zu hoch in der Luft, um ganz sicher zu sein.“
Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen saß Aeron, umringt von den anderen Kriegern, auf dem Sofa im Gemeinschaftszimmer. Er kam nur selten her. Eigentlich suchte er sich seine Unterhaltung lieber draußen. Meist versteckte er sich im Randgebiet der Stadt in dunklen Ecken, beobachtete heimlich die Sterblichen und fragte sich, warum ihre Verletzlichkeit sie nicht stärker beunruhigte.
Und jetzt schien er aus diesem Zimmer nicht mehr wegzukommen.
Paris war zurück und sah sich einen Film an. Reyes drosch wie in Trance auf den Sandsack ein, Torin lehnte in einer entlegenen Zimmerecke und Lucien spielte Billard. Er hatte seine Schlafzimmertür mit Balken und Nägeln verbarrikadiert, um nicht länger Wache halten zu müssen. Nur Maddox fehlte, worüber Aeron allerdings froh war.
Der Mann war heute einfach zu unberechenbar und viel zu sehr von seinem Menschenkind eingenommen. Aeron schnaubte. Er nicht. Niemals. Er fand zwar Gefallen daran, diese törichte Spezies zu beobachten, hatte sich aber nie in ihre Gesellschaft begeben. Selbst die hübsche Blondine hatte ihn nicht in Versuchung geführt. Menschen waren zu schwach, und sein Dämon zwang ihn permanent dazu, ihnen ihren Sünden entsprechend zu schaden.
Einem Vergewaltiger schnitt er den Schwanz ab. Einem Mann, der seine Frau schlug, die Hände. Mit der Zeit gefiel Aeron sogar, was er tat. Es gefiel ihm, auf seine Art Rache zu üben. Deshalb stand er ja auch so dicht am Abgrund.
Aber das Mädchen …
Als sie aus der Stadt zurückgekommen waren, hatte er sie in Luciens Schlafzimmer gebracht. Ihre Rundungen hatten sich in sein Hirn eingebrannt, doch sein Körper war davon gänzlich unbeeindruckt geblieben. Sie war ihm gleichgültig. So wie all diese armseligen Kreaturen, die sich Menschen nannten. Man konnte sie zu leicht vernichten und verängstigen. Man konnte sie zu leicht denen wegnehmen, die sie liebten. Dennoch wollte er dem Mädchen nicht wehtun.
„Woher weißt du, dass es Jäger sind?“, erkundigte sich Lucien. Er sah angespannt aus. Seine ruhige Fassade begann zu bröckeln, als er die achte Kugel in der Ecktasche versenkte.
„Sie waren mit Pistolen und Messern bewaffnet, und ich habe das Unendlichkeitszeichen auf ihren Handgelenken gesehen.“ In seinen Augen war es selten dämlich, sich zu brandmarken. Dann konnte man sich auch gleich ein Neonschild um den Hals legen, auf dem „Zielscheibe“ stand.
„Wie viele?“
„Sechs.“
„Oh Mann, so ein Mist.“ Paris stützte den Kopf auf die Hände. Er trug eine geöffnete Jeans, sonst nichts. Aeron hatte ihn in der Stadt entdeckt, als er in einer schattigen Gasse gerade eine Frau vögelte, und ihm gesagt, er solle sich beeilen und schnell nach Hause kommen. Offenbar hatte sich Promiskuität die Bitte zu Herzen
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