Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
„Beziehungsweise ein Generikum.“ Ihr Teint hatte einen Grünstich, und sie schwankte hin und her. Sie kramte in einer smaragdgrünen Tasche und holte eine rotweiße Fla sche heraus.
Aeron stand neben ihr und straffte die Schultern. Seine Flügel falteten sich hinter seinem Rücken zusammen und verschwanden. Er bückte sich, hob sein T-Shirt vom Fußbo den auf, zog es sich über den Kopf und bedeckte damit die bedrohlichen Tätowierungen, die seinen Oberkörper zierten. Er ging zum Fenster und machte es zu, bevor er sich mit vor der Brust verschränkten Armen Danika zuwandte. Er stand stumm da und beobachtete sie.
„Danke“, sagte Ashlyn. „Es tut mir ehrlich leid, dass du so viel durchmachen musstest, um sie zu holen.“
Wortlos reichte Danika ihr die beiden Tabletten, die sie nur allzu dankbar annahm. Sie verspürte noch immer leichte Schmerzen, und auch ihr Magen hatte sich noch nicht wieder vollständig beruhigt. Das alles war jedoch nichts im Vergleich zu vorher.
Maddox nahm ihr die Tabletten aus der Hand, ehe sie sie sich in den Mund werfen konnte. Er sah sie mit gerunzelter Stirn forschend an. „Sind das Zauberpillen?“, erkundigte er sich neugierig.
„Nein“, erwiderte sie.
„Aber wie sollen dir zwei so kleine Dinger die Schmerzen nehmen?“
Ashlyn und Danika tauschten einen irritierten Blick. Die Männer hatten während all der Jahre doch sicherlich Umgang mit Menschen gehabt. Wie also kam es, dass sie nichts über die moderne Medizin wussten?
Für Ashlyn gab es nur eine Erklärung: Sie hatten sich noch nie zuvor um einen kranken Menschen gekümmert. Außerdem war nur einer der Männer, Paris, relativ regelmäßig in der Stadt gesehen worden. Das hatten die Stimmen ihr gesagt.
Und Maddox? Verkroch er sich in der Burg? Wahrscheinlich schon, mutmaßte sie und fragte sich, ob er sich wohl manchmal vergessen fühlte. Oder ungeliebt. Sie selbst fühlte sich im Institut oft genauso – obwohl McIntosh sie stets liebenswürdig behandelte. Aber alle anderen hatten sich seit jeher nur für ihre Gabe interessiert. Was hörst du, Ashlyn? Haben sie sonst nichts gesagt, Ashlyn? Haben sie das noch näher ausgeführt, Ashlyn?
Ashlyn wurde klar, dass sie Maddox verstehen lernen wollte. Sie wollte mehr über ihn erfahren und ihn trösten, so wie er sie getröstet hatte. Maddox konnte es nicht wissen, und sie würde es ihm gewiss nicht sagen, aber jedes Mal, wenn er über ihren Bauch rieb und ihr beruhigende Worte ins Ohr flüsterte, verliebte sie sich ein bisschen mehr in ihn. Das war idiotisch und falsch, aber nicht zu ändern.
Eigentlich hatte sie ihm von ihrer Fähigkeit erzählen wollen, aber dann war er einen Moment lang so aggressiv gewesen, dass sie sich dagegen entschieden hatte. Wenn Maddox jetzt schon wütend war, ohne das Ausmaß ihres Talents zu kennen, würde er womöglich komplett ausrasten, wenn er die Wahrheit kannte.
Die meisten Mitarbeiter des Instituts fühlten sich in ihrer Gegenwart unwohl, da sie wussten, dass sie ihre intimsten Gespräche hören konnte, wenn sie nur ihr Zimmer betrat. Jetzt, da sie beschlossen hatte, hierzubleiben – so seltsam dieser Ort auch war –, wollte sie dieser Ablehnung nicht schon wieder begegnen. Sie wollte ausnahmsweise mal wie ein normaler Mensch behandelt werden. Nur eine Zeit lang.
In Gesellschaft von Dämonen sollte das nicht allzu schwierig sein.
Sie würde die Wahrheit noch früh genug ausspucken. Vielleicht in ein paar Tagen. Und vielleicht würde sie dann lernen, wie sie die Stimmen auch in Maddox’ Abwesenheit in Schach halten konnte. In der Zwischenzeit musste sie einen Weg finden, McIntosh anzurufen. Er verdiente es, zu wissen, was mit ihr passiert war und dass es ihr gut ging. Sie wollte nicht, dass er sich Sorgen machte.
Hoffentlich beobachtete er die Burg, so wie sie vermutete, und sah, dass sie glücklich war. Hoffentlich war ihm ihr Glück wichtiger als ihre Arbeit.
„Nimm sie“, platzte Maddox in ihre Gedanken. Er legte ihr die Tabletten in die Handfläche. „Wenn es ihr danach schlechter geht“, warnte er Danika, „kann ich für nichts garantieren.“
„Hör auf, ihr zu drohen“, tadelte Ashlyn ihn kopfschüttelnd. „Ich habe diese Medikamente schon öfter genommen. Es wird mir danach besser gehen.“
„Sie …“
„Hat nichts Falsches getan.“ Ashlyn wusste selbst nicht, woher sie ihren Mut nahm. Sie wusste nur, dass sie es Maddox nicht erlauben würde, sich aufzuplustern und andere einzuschüchtern.
Er würde
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