Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
Tränen. „Es ist okay, du kannst es mir sagen. Ich kann es verkraften.“
„Nein, sie haben mir nichts getan“, beruhigte sie sie.
„Du hast uns immer noch nicht erzählt, was passiert ist.“ Ihre Mom fasste sie an den Händen und drückte sie sanft. „Okay? In Ordnung? Ich bin fast wahnsinnig geworden vor Angst um dich.“
Ihr wurde klar, dass sich alle noch viel mehr sorgen würden, wenn sie sie im Unklaren ließe, und berichtete doch von den Geschehnissen. Die Krieger hatten ihr Angst gemacht, ja. Und der mit den dunklen Augen hatte es mit seinem durchdringen Blick sogar geschafft – oh Gott, sie hasste es, sich das einzugestehen –, er hatte es geschafft, irgendetwas in ihr wachzurütteln, sodass sie ihn um Hilfe angefleht hatte.
Ein Flehen, das er ignoriert hatte, dieser Bastard.
Aber sie musste einräumen, dass die Männer sie genauso überrascht wie verängstigt hatten. Immerhin hatte der schwarzhaarige Mann mit den seltsam violetten Augen die kranke Frau, Ashlyn, wie einen Schatz behütet. Er hatte sie zärtlich gehalten. Und offenbar hatte er sich nicht an dem Erbrochenen in der Schale und dem Geruch in dem Zimmer gestört. Er hatte sich ausschließlich um Ashlyn gesorgt.
Ach, wenn sie doch nur einen Mann hätte, der sie so behandelte.
Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der verhärmte Reyes so sehr erweichen würde. Oder sie so zärtlich liebkosen würde, selbst wenn sie sich liebten. Sogleich schlüpfte ein Bild von seinem nackten, muskulösen Körper in ihren Kopf. Sie schüttelte sich und warf eine schwarze Decke über das Bild. Sie hatte die Arme nach ihm ausgestreckt und ihn um Hilfe angefleht, doch er hatte sie verleugnet. Sie würde nicht vergessen, dass man sich auf Reyes nicht verlassen konnte.
„Was ist, wenn diese … Viecher uns nicht gehen lassen?“, gab ihre Mom zu bedenken und unterdrückte ein Schluchzen. „Was ist, wenn sie uns umbringen, so wie sie es besprochen haben?“
Bleib stark. Lass sie nicht sehen, dass du dieselbe Angst hast. „Sie haben versprochen, uns am Leben zu lassen, wenn ich diese Frau wieder gesund mache, und das habe ich.“
„Männer lügen doch wie gedruckt“, klagte ihre Schwester und setzte sich auf. Ginger war neunundzwanzig und ausgebildete Aerobictrainerin. Normalerweise war sie ruhig und zurückhaltend. Keine von ihnen war jemals in einer vergleichbaren Situation gewesen, und keine wusste, wie sie damit umgehen sollte.
Bisher hatten sie vollkommen normale Leben geführt, waren jeden Morgen aufgestanden und zur Arbeit gegangen, sorglos und unbekümmert und in der trügerischen Überzeugung, dass ihnen nichts Schlechtes widerfahren würde. Vor diesem ganzen Schlamassel war das Schlimmste, mit dem Danika hatte zurechtkommen müssen, der Tod ihres Großvaters vor zwei Monaten gewesen. Er war ein liebevoller, lebensfroher Mann gewesen, und sein Verlust hatte sie bis ins Mark erschüttert. Sie alle hatten um ihn getrauert. Und taten es noch.
Sie hatten geglaubt und gehofft, ein Urlaub hier würde ihnen über den dumpfen Schmerz hinweghelfen und sie dem Mann näherbringen, den sie nie mehr wiedersähen. Grandpa hatte dieses Land geliebt. Er hatte immer wieder von den zwei zauberhaften Wochen geschwärmt, die er vor der Hochzeit mit Grandma hier verbracht hatte.
Und nicht ein Mal hatte er eine Horde mordender Krieger mit Flügeln erwähnt.
„Wir haben das Zimmer mehrfach abgesucht“, klagte ihre Großmutter. Ihr gegerbtes Gesicht war faltiger als sonst. „Die einzigen Wege, die hinausführen, sind die Tür und das Fenster, aber wir können keins von beidem öffnen.“
„Warum wollen sie uns nur etwas antun?“, schluchzte Ginger. In ihren blauen Augen standen Tränen, und ihr blondes Haar war feucht von den vielen Weinkrämpfen. Ihr Gesicht war übersät von roten Flecken.
Keine von ihnen sah hübsch aus, wenn sie weinte.
„Das haben sie mir nicht verraten“, seufzte Danika. Was für ein Albtraum. Kurz vor der Entführung hatten sie und ihre Familie sich das Burgviertel angeschaut. Noch nie hatte sie etwas Schöneres gesehen als diese viele Jahrhunderte alten Bauwerke, die im Schein der farbenfrohen Lichter erstrahlen. Am liebsten hätte sie den Anblick mit ihren Farben auf einer Leinwand eingefangen.
Und genau das wollte sie im Hotel machen: malen.
Doch als sie ihr Zimmer betrat, war ein Mann – ein großer Mann mit vernarbtem Gesicht, dunklen Haaren und seltsamer Augenfarbe – über sie hergefallen. Er roch nach Blumen, und
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