Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
dass sie heute um Mitternacht zum Kerepesi Friedhof kommen sollen. Sie müssen unbewaffnet sein und dürfen niemandem erzählen, was sie vorhaben. Sie müssen alleine kommen. Ich werde sie dort besuchen. Ich werde ihnen genau zeigen, wo ich bin.
„Um Mitternacht sind sie mit anderen Dingen beschäftigt.“
Dein Todesfluch. Ja, ich weiß. Lucien und Reyes dürfen später kommen.
„Aber …“
Kein Aber. Um Mitternacht. Unbewaffnet.
Maddox blinzelte. Das ergab keinen Sinn. Warum sollten die Männer unbewaffnet kommen? Ein Gott konnte sie mir nichts, dir nichts zermalmen, ganz gleich, wie viele Waffen sie dabeihatten.
Wirst du es ihnen ausrichten?
Er kniff die Augen zu zwei schmalen Schlitzen zusammen. Entweder war das kein Gott, oder das Wesen wollte sie in einen Hinterhalt locken. Er hielt die Titanen für grausam genug, so etwas zu versuchen. Doch so oder so – Maddox hatte eindeutig die schlechteren Karten. Wenn es ein Gott war, würde er bestraft werden, wenn er es nicht fertigbrächte, seine Freunde unbewaffnet in eine möglicherweise gefährliche Situation zu schicken. Und wenn es kein Gott war, bedeutete es, dass jemand – etwas – die Macht hatte, in seine Gedanken einzudringen.
Neben ihm räusperte sich Ashlyn und rollte sich auf den Rücken. Den einen Arm hatte sie quer über die Stirn gelegt, die andere Hand lag schlaff auf ihrem Bauch. Sie ist kurz davor aufzuwachen, schoss es ihm durch den Kopf, aber sie wehrt sich noch dagegen.
Also, wirst du es tun? Die Stimme klang jetzt zu eifrig und unsicher.
In diesem Moment wusste Maddox: Das war kein Gott. Es konnte keiner sein. Ein übermächtiges Wesen hätte die Herren der Unterwelt mit einem Schlag zum Friedhof befördern können. Ein übermächtiges Wesen hätte nicht einen Funken Zweifel versprüht. Er biss die Zähne zusammen.
Verlang nicht von mir, dass ich noch mal frage.
„Natürlich werde ich es ihnen ausrichten“, erwiderte er, und es war noch nicht mal gelogen. Er würde ihnen etwas ausrichten – allerdings nicht das, was das Wesen ihm aufgetragen hatte.
Dann also bis heute Nacht. Die Stimme summte förmlich vor Zufriedenheit.
Bis wir die Wahrheit erfahren. Natürlich sprach Maddox diesen Gedanken nicht laut aus. Als er keine Antwort, keine Reaktion vernahm, grinste er. Das Wesen konnte ihm zwar seine Worte in den Kopf legen, aber es konnte nicht seine Gedanken hören. Gut. Sehr, sehr gut.
Plötzlich verschwand das energiegeladene Surren aus der Luft.
Maddox’ Gedanken überschlugen sich. Womöglich konnte das Wesen Dialoge aus der Entfernung hören. Vielleicht gehörte die Stimme zu einem Unsterblichen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten.
Zu einem unsterblichen Jäger?
Darauf bedacht, Ashlyn nicht zu wecken, kroch Maddox aus dem Bett und suchte die Festung nach Lucien ab. Er fand den Krieger auf dem Sofa im Unterhaltungszimmer sitzend vor. Er war alleine und still und hielt ein Glas Scotch in der Hand.
Maddox berichtete seinem Freund von den Geschehnissen, und Lucien wurde blass. Und mit ihm seine Narben. „Jäger. Titanen. Frauen. Und jetzt auch noch körperlose Wesen mit unbekannten Kräften? Wann hört das alles bloß auf?“
Er fuhr sich durch die Haare. „Mit jeder Minute, die verstreicht, scheint sich etwas Neues zu offenbaren.“ Wenn man bedachte, dass Maddox sich erst gestern noch über die Monotonie seines Lebens beklagt hatte …
„Wenigstens bleiben uns noch ein paar Stunden, um zu entscheiden, wie wir mit der Sache umgehen. Ich muss nachdenken, bevor wir die anderen einweihen. Es passiert einfach zu viel auf einmal. Es verändert sich zu viel.“
Maddox nickte. „Du weißt ja, wo du mich findest, wenn du mich brauchst.“ Er ging in sein Zimmer zurück, dankbar für die Galgenfrist. Er war noch nicht bereit, Ashlyn zu verlassen.
Sie lag noch genauso da, wie er sie zurückgelassen hatte, ein Lichtblick in seiner trostlosen Kammer. Als er sich wieder neben sie legte, wackelte die Matratze eine Spur zu stark.
„Maddox“, murmelte sie.
Dieses schlaftrunkene Wort, das mehr ein Stöhnen war, fachte das Feuer in seinen Lenden genauso an, wie es eine Liebkosung ihrer schönen Hände getan hätte. Bei dem neu erwachten Verlangen machte sich Gewalt wieder bemerkbar. Er war in einer düsteren und hungrigen Stimmung. Er brauchte … irgendetwas. Blut? Schmerz? Schreie? Er wusste es nicht, konnte es nicht sagen. Ich werde die Kontrolle behalten. Ich werde dieser Frau nichts antun.
Ashlyn rieb ihre Wange an
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